Projektbeschreibung
Untersucht werden instrumentelle Bilder (Bilder, mit denen menschliche Akteure handeln) im Hinblick auf das den Akteur_innen unzugängliche Wissen aus deren Entwicklung, wie z.B. offene Forschungsfragen und ungesicherte Konzepte. Insofern die jeweilige Bildform/-technik das Verhältnis von Erkenntnis-, Darstellungs- und Handlungsfunktion der instrumentellen Bilder beeinflusst, verändert sich mit den Bildern auch die Art und Weise der (Nicht-)Vermittlung zwischen Fachforschung und Anwendung, wobei die Distanz der Akteur_innen zu den epistemischen und bildtheoretischen Voraussetzungen der instrumentellen Bilder mit der Digitalisierung zunimmt.
Exemplarische Gegenstände sind Bilder aus Medizin und Psychologie, in denen es (1) um das Verhältnis von Gesichtsmorphologie und Ausdruck (Mimik) und (2) um das Verhältnis von Anatomie und Funktion (Hand) geht.
Das interdisziplinäre Team verfolgt die Ziele, (1) die Rolle der instrumentellen Bilder im Handeln mit Bildern im Wechsel von Zeichnung/Schema zu digitalen Bildern an zwei unterschiedlichen Fällen zu untersuchen und (2) das epistemische Wissen mit den instrumentellen Bildern zu vernetzen, indem (a) für eine am Konrad-Zuse-Institut Berlin (ZIB) im Aufbau befindliche Gesichtsdatenbank Alternativen zur Codierung (FACS) erarbeitet werden (Mimik-Archiv) und (b) eine Plattform (Mimik-Atlas) entwickelt wird, mit der die für die aktuelle Forschung relevanten Fragen/Probleme aus der Wissenschafts- und Bildgeschichte zum Gesichtsausdruck für Nutzer_innen in Forschung, Lehre und Praxis zugänglich gemacht werden.
Teilprojekte
I. Instrumentelle Bilder der Handchirurgie – von der Zeichnung zu digitalen Bildern
Das Projekt widmet sich der Hand als einem Untersuchungsobjekt, das Aristoteles als »Instrument aller Instrumente« (instrumentum instrumentorum) bezeichnet hat und damit zugleich einem Körperteil, das jüngst (durch Smartphones, Tablet-PC's u.a.) ins Zentrum theoretischen Interesses getreten ist (Ruf). Während medizin-, kultur- und kunstgeschichtliche Fallstudien zur Hand vorliegen (Leroi-Gourhan; Gadebusch Bondio), steht eine bildwissenschaftliche Erforschung noch aus. Im Projekt wird die Hand als dialektisches Objekt zwischen Form und Funktion untersucht: als Gegenstand von Zeichnung und instrumenteller Bildgebung vor der Folie der Entstehung der Handchirurgie als eigener Disziplin, ihrer bildhistorischen und epistemologischen Vorgeschichte, der Wechselwirkung von Medizin- und Kriegstechnik, Fragen der Geometrisierung und Disziplinierung des Körpers, unter Bezugnahme auf kunst- und architekturtheoretische Debatten der Neuzeit und mit Blick auf den aktuellen Medienwandel. Zudem wird die Zeichnung untersucht: als epistemisches Werkzeug, in bezug auf ihre Einbettung in eine Bildpraxis des Forschens, Sammelns, Vergleichens, Ordnens und ihre Wechselwirkung mit anderen Bildmedien (z.B. mit Fotografie – Diapositiven, Röntgenaufnahmen –, Printmedien wie Zeitungsbildern oder auch Reproduktionen von Kunstwerken).
Anhand des Nachlasses des Handchirurgen J. William Littler werden im Anschluss an die Theorie der Zeichnung (Kemp) und die Geschichte des Wissens vom Händischen (Sherman) Untersuchungen zur materiellen Kultur und zu den Bildpraktiken der Handchirurgie durchgeführt. Dabei geht es um Bilder der Hand sowohl in der Forschung als auch im Patientenkontakt. Gefragt wird nach dem Begriff des »Stils« in der Chirurgie, nach den Wechselwirkungen zwischen Fotografie und Handzeichnung und nach der Rolle des Medienwandels für die Bildpraxis der Handchirurgie.
II. Dissertationsprojekt: Codierung der Gefühle. Eine Wissenschaftsgeschichte des FACS (Arbeitstitel)
Das Dissertationsprojekt befasst sich mit einer Wissenschaftsgeschichte des Facial-Action-Coding-Systems (FACS) und dessen digitaler Weiterentwicklung im Bereich des Affective Computings. Das FACS, das als Code-System zur objektiven Erfassung von Emotionen anhand von fazialen Expressionen in den 1970er Jahren entwickelt wurde, stellt in der gegenwärtigen Affektforschung in den Bereichen der Psychologie, Experimentellen Psychologie, Verhaltensforschung, Neurowissenschaften usw. das vorherrschende Paradigma der Erfassung von Affektausdrücken dar. Im Rahmen einer historischen Epistemologie sollen die epistemologischen, diskursiven und technischen Bedingungen, die bildhistorischen Voraussetzungen sowie die experimentellen, foto- und videografischen Praktiken untersucht werden, die dazu beigetragen haben, dass sich das Code-System zum grundlegenden Instrumentarium zur Erfassung von Emotionen entwickelt hat. Die Untersuchung der digitalen Weiterentwicklung des FACS bezieht sich einerseits auf das Feld der Entwicklung computergestützter Methoden der Diagnostizierung von Psychopathologien anhand von fazialen Ausdrucksmustern. Andererseits stehen digitale Lerntools und tragbare Computertechniken im Zentrum der Arbeit, die sowohl das Erlernen als auch Lesen affektiver Ausdrucksmuster in Echtzeit im Bereich Autismusspektrum ermöglichen sollen. Erkenntnisleitendes Ziel ist es, die implizite und explizite Weiterentwicklung des FACS, das Nachwirken historischer Wissensbestände im Bereich der Affektforschung, die Untersuchung der epistemologischen, diskursiven Brüche und bildhistorischen Voraussetzungen in der Geschichte der Diagnostizierung von Psychopathologien sowie des Lesens und Verstehen des Seelischen anhand der affektiven Körperoberfläche zu untersuchen.
III. Dissertationsprojekt: Aufbau einer 3D-Mimik-Datenbank
Die Entwicklung computergestützter Planungs- und Analysewerkzeuge für die Gesichtschirurgie sowie die Erforschung neurokognitiver Prozesse bei der Wahrnehmung und Verarbeitung von Gesichtsausdrücken basieren auf Modellen über morphologische Eigenschaften des menschlichen Gesichts und seiner Dynamik. Anwendungen in Medizin und Neurowissenschaften nutzen bislang Mimik-Modelle wie das Facial-Action-Coding-System (FACS). Allerdings liegt neben einem kategorialen Kodierungssystem und einer begrifflichen und methodischen Verschmelzung von Emotion und induziertem Gesichtsausdruck eine entscheidende Limitierung dieser Modelle in der überwiegend qualitativen Beschreibung der morphologischen Ausdrucksmuster (z.B. in Form exemplarischer Fotografien beim FACS) und der Reduzierung der fazialen Dynamik auf die muskuläre Bewegung. Neue Anwendungen und Fragestellungen erfordern jedoch ein differenziertes und quantitatives Modell dynamischer Fazialgestalt.
Der Fokus des Dissertationsprojekts liegt daher auf der Etablierung einer hoch-detaillierten 3D-Gesichtsdatenbank (Mimik-Archiv) mit dem Ziel der statistischen Analyse quantitativer fazialer Morphologiemerkmale. Die Ausdrucksmuster erlauben die Generierung eines Modells in Form des digitalen Mimik-Atlas und dienen als Werkzeug in medizinischen und neurowissenschaftlichen Anwendungen.
In der ersten Projektphase wurden bestehende stereofotogrammetrische Verfahren zur Erfassung der fazialen Morphologie und der fotografischen Textur von Gesichtsausdrücken weiterentwickelt und für den spezifischen Kontext optimiert. Mit der Camera Facialis des Konrad-Zuse-Zentrums für Informationstechnik (ZIB) wurde ein Multi-Camera-Setup etabliert, welches es ermöglicht, 3D-Geometrie und Farbe der Gesichtsoberfläche binnen Sekundenbruchteilen hochgenau zu vermessen. Dabei übertrifft sowohl der geometrische als auch der fotometrische Detailgrad der digitalen Gesichtsmodelle die Ergebnisse derzeit verfügbarer Systeme. Während der gesamten Projektlaufzeit dient die Camera Facialis der Sammlung einer umfassenden Datenbasis von fazialen Affektausdrucksmustern. Gegenstand weiterer Forschungen sind vor allem neue algorithmische Verarbeitungsprozesse mit dem Ziel der Erstellung des Mimik-Archivs aus den digitalen Gesichtsoberflächen. Durch eine weitgehende Automatisierung der nötigen Verarbeitungsschritte wird eine schnelle Integration digitaler 3D-Modelle in das Mimik-Archiv und darüber hinaus ein einfacher Datenbankabgleich mit neuen Gesichtern möglich.