Untersucht wird die Bedingtheit natürlicher und artifizieller Formen. In ihrer geometrischen und strukturellen Erscheinungsweise können Formen als Effekt unterschiedlicher Formprozesse verstanden werden. Zwei paradigmatische Optionen stehen bei der Frage nach Formwerdung und -wandel einander als Extreme gegenüber: Die konstruktive Perspektive umfasst die geometrischen, physikalisch-chemischen und materialen Bedingungen der Formbildung, während sich die historische Form genealogisch durch die Bestimmung von Vorläuferformen, Tradition und Reproduktion versteht.
Die Analyse von Formbildung erlaubt Voraussagen im Hinblick auf die Ausbildung neuer Formen; dabei kann es sich um Konservierung (Formkonstanz) und auch Innovation (Entstehung neuer Strukturen) handeln. Die Frage nach der Genese und Genealogie von Form zielt auf die Beschreibung der Formwerdung individueller Objekte (konstruktiv und genealogisch), und zwar vergleichend sowohl auf die Gestaltung von Artefakten als auch auf die Ontogenese von Organismen. Formwerdung wird nicht im Hinblick auf ein fertiges Objekt konzeptualisiert, sondern vielmehr als Prozess oder Sequenz von Formen. Diese können einer direkten Beobachtung zugänglich sein, müssen aber in vielen Fällen rekonstruiert werden. Das gilt gleichermaßen für Objekte der Biologie wie für Objekte der Kunstgeschichte.
Der Gestaltungsprozess ist ein iterativer Prozess, der von den Erkenntnissen beim Erzeugen und bei der anschließenden Beurteilung der jeweiligen Modellgeneration gespeist wird, aber auch Impulse von außen erhält, die Revisionen notwendig machen. Impulse können die Ergebnisse aus Akzeptanz-, Benutzungs- oder Stabilitätstests sein oder Einschränkungen durch Herstellungsverfahren und Materialeigenschaften. Die iterative Ausformulierung aller Details ermöglicht differenzierte Ergebnisse und gleicht formal oft biomorphen Strukturen. Es gilt, die in evolutionären Entwurfsprozessen entstandenen Formen von rein formaler Mimikry zu unterscheiden.
Jenseits einer nur metaphorischen Übertragung biologischer Prozesse auf Architektur, Kunstgewerbe oder Design zielt das Projekt auf die Engführung von konstruktiven und genealogischen Prozessen, um zu einem neuen Verständnis der Bedingtheit artifizieller und natürlicher Formen zu gelangen. Zusätzlich wird angestrebt, das erweiterte Verständnis natürlicher Formbildung für Gestaltungsprozesse auch experimentell auszuloten. Es geht hier vordringlich um die Entstehung und Abwandlung von Strukturen in Zeit und Raum, sei es im historischen Nachvollzug, im experimentellen Verändern oder gestalterischen Kreieren von Form für Anwendungen.
Die Arbeit des Projektes wird durch (interdisziplinäre) Fachpublikationen dokumentiert werden. Die Ergebnisse werden in das Datenrepositorium zu Struktur-Funktions-Beziehungen (Projekt Shaping Knowledge u.a.) einfließen. Im Rahmen der im Jahr 2014 an der HU durchgeführten Tagung »Third International Congress on Invertebrate Morphology« wird das Projekt zusammen mit dem Projekt Attention & Form einen interdisziplinären Workshop zum Thema Morphologie durchführen. Geplant ist die Ausstellung »Form und Strukturen in Natur und Design« in Zusammenarbeit mit dem Kunstgewerbemuseum. Zu dieser Ausstellung trägt das Projekt »Attention & Form« mit einer Abteilung »Natur als Kunst« bei.