Das Tieranatomische Theater ist Berlins ältestes noch erhaltenes Lehrgebäude – und zweifellos eines der schönsten. Carl Gotthard Langhans (1732 bis 1808) entwarf das Tieranatomische Theater im Auftrag von König Friedrich Wilhelm II. als Herzstück der neu gegründeten Tierarzneischule, die auf dem ausgedehnten Parkgelände des ehemals Gräflich-Reußischen Gartens entstand. 1789/90 wurde das Gebäude zeitgleich mit dem ebenfalls von Langhans erbauten Brandenburger Tor als erste freistehende Tieranatomie der Medizingeschichte erbaut. Der an Palladios Villa Rotonda angelehnte Zentralbau mit seinem überkuppelten und gestuften Hörsaal ist ein architektonisches Kleinod und das älteste erhaltene akademische Lehrgebäude Berlins.
Langhans verknüpfte darin die antiken Vorbilder des Rundtempels und
Amphitheaters zu einer Wissensarchitektur, in deren Zentrum der Hörsaal
mit einer ins Erdgeschoss reichenden Hebebühne stand. Damit entstand ein
Ort, der einerseits herausragende praktische Bedingungen für die
tieranatomische Lehre bot. Zugleich förderte die ästhetische Qualität
des Gebäudes das Selbstverständnis und den wissenschaftlichen wie
politischen Status der Veterinärmedizin als neue Wissenschaft. Diese
historische Notwendigkeit einer Bühne für die spektakuläre Inszenierung
der Anatomie motiviert uns heute, dort erneut eine innovative Praxis des
Zeigens zur Erforschung der Wechselwirkungen zwischen Architektur und
Objekten zu entwickeln.
Das Tieranatomische Theater wurde von 2004 bis 2012 unter der Leitung von Müller Reimann Architekten umfangreich saniert und restauriert und wird seitdem vom Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik genutzt und betrieben.
Chronologie der Berliner Tierarzneischule und des Tieranatomischen Theaters
1787
König Friedrich Wilhelm II. beauftragt den Grafen von Lindenau mit der Errichtung einer Tierarzneischule
1789/90
Bau des Tieranatomischen Theaters
1790
Feierliche Eröffnung der Königlichen Tierarzneischule zu Berlin zur Ausbildung von „Roßärzten“ und Fahnenschmieden für die Preußische Kavallerie und zur Bekämpfung grassierender Tierseuchen wie der Rinderpest
1874
Südöstlicher Anbau („Gerlach-Bau“)
1887
Tierarzneischule erhält Statut als Tierärztliche Hochschule
1910/1918
Verleihung Promotions- und Habilitationsrecht
1920
Einzug des Instituts für Nahrungsmittelkunde
1934
Eingliederung der Tierärztlichen und der Landwirtschaftlichen Hochschulen als Landwirtschaftlich-Tierärztliche Fakultät in die Friedrich-Wilhelms-Universität
1935/36
Erweiterung des „Gerlach-Baus“ mit einem Kopfbau
1946
Veterinärmedizinische Fakultät der Humboldt-Universität
1992
Fusion der Fachbereiche Veterinärmedizin von Humboldt-Universität und Freier Universität Berlin unter dem Dach der Freien Universität
2005 bis 2012
Sanierung und Restaurierung des Tieranatomischen Theaters unter der Leitung von Müller Reimann Architekten
ab 2012
Nutzung durch das Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik der Humboldt-Universität für Ausstellungen und Veranstaltungen
Weiterführende Literatur:
Jens-Oliver Kempf, Die Königliche Tierarzneischule in Berlin von Carl Gotthard Langhans: eine baugeschichtliche Gebäudemonographie. Berlin 2008.