Zur Performance
Auf der Bühne des Tieranatomischen Theaters Berlin, wo einst die
Veterinärmedizin am Pferdekörper forschte, lassen wir die Hysterie
auftreten: als Krankheit, als Kunstform, als Protest.
Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Hysterikerin von ihrem »Erfinder«,
dem französischen Arzt Jean-Martin Charcot in seinen berühmten
Dienstagsvorlesungen auf einer Bühne des Wissens präsentiert: In Hypnose
versetzt bot sie das Spektakel des klassischen Anfalls der grande
hystérie dar. Mit Zuckungen, Verrenkungen, Aufbäumen und akrobatischen
Kraftakten, schnaubend, spuckend und schreiend wurden die
Hysterikerinnen zugleich gefürchtete und verehrte Stars der Salpêtrière
(Nervenkrankenhaus in Paris). Sie boten dort eine Projektionsfläche für
Attribute des Animalischen, Unzähmbaren und Wilden. Derart in die Nähe
zum Tier gerückt, waren die Hysterikerinnen gleichermaßen Faszination
und Bedrohung für die bürgerliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts .
Doch zeigten sie sich schnell widerspenstig gegen die
vereinheitlichenden, pathologisierenden Interpretationen ihrer Symptome
und die Versuche aus ihren diagnostischen Zeichen eine einheitliche
Krankheit zu machen. Ihre Symptome bedeuteten nichts, verwandelten sich
oder verschwanden gar.
HYSTEROLOGY beschäftigt sich mit der Praxis des Zeigens zwischen
Wissenschaft und Schaulust. Zwischen Präsentation und Selbstversuch,
Lecture Performance und Melodrama zeichnet HYSTEROLOGY die Hysterie – dieses komplexe Beziehungsgeflecht aus Körpern, Blicken, Wünschen und
Verweigerung - nach und wirft die Zuschauenden auf ihre (Macht)Position
als Beobachtende zurück.
Mitwirkende
HYSTEROLOGY entstand in Zusammenarbeit zwischen den ungarischen
ChoreografInnen László Fülöp und Anna Biczók und Teilen des
Performance-Kollektivs bigNOTWENDIGKEIT (Anna K. Becker, Katharina
Bischoff, Alice Ferl) und war diesen Herbst an den Sophiensaelen Berlin
und dem Mu Theater Budapest zu sehen. Für das TAT wurde eine spezielle
Version der Performance entwickelt, die den Gegebenheiten des
klassizistischen Hörsaals entspricht.
In Koproduktion mit schloss bröllin e.V., dem AQB-Art Quartier Budapest und SOPHIENSÆLE. Gefördert im Rahmen von Szenenwechsel, einem Programm der Robert Bosch Stiftung und dem Internationalen Theaterinstitut (ITI), dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Mecklenburg-Vorpommern und der Workshop Foundation, Budapest. Medienpartner: Missy Magazine.
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