Niethammer - Helmholtz Vorlesung Februar 2014
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Niethammer - Helmholtz Vorlesung Februar 2014
Lugar
Kinosaal der Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den Linden 6

Prof. Dr. med. Dr. h. c. Dietrich Niethammer (ehem. Geschäftsführender Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der Universität Tübingen) spricht zum Thema:

Das Schweigen brechen.
Vom ehrlichen Umgang mit schwer kranken Kindern

Was tut man, wenn Kinder schwer krank werden? Was bedeutet es für die Familienangehörigen? Was bedeutet es für das Kind selbst? Und wie soll man sich in diesem Fall ethisch und therapeutisch richtig verhalten?

Die Antwort auf diese Fragen war bis zum Ende des 20. Jahrhunderts und ist oft auch heute noch eindeutig: Schwer kranke Kinder denken nicht über das Sterben nach und müssen vor dem Wissen über ihre Krankheit oder ihren bevorstehenden Tod geschützt werden. Als Reaktion auf diese »Schutzversuche« von Ärzten und Familie ziehen sich kranke Kinder oft in sich zurück und der Kontakt zu ihnen bricht ab. Häufig reden diese Kinder mit niemandem mehr und sterben in großer Einsamkeit.

Dietrich Niethammer, einer der renommiertesten Kinder- und Jugendmediziner in Deutschland, plädiert aber dafür, das Schweigen zu brechen und mit schwer kranken Kindern ehrlich umzugehen, indem man ihnen die Wahrheit über ihren Zustand nicht verheimlicht. »Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts lernte ich von Kindern mit lebensbedrohlichen Erkrankungen, dass sie in der Tat sehr viel über ihre Krankheit und die Möglichkeit des Sterbens und was das alles für sie bedeutete, nachdachten und viel mehr wussten, als wir ahnten. Und ich ging dazu über, ganz offen mit ihnen zu reden und sie nicht mehr zu belügen, wie es man mir beigebracht hat. Es entwickelten sich dadurch häufig intensive Dialoge, die erst mit dem Tod unserer Patienten oder dem Ende der Therapie ihr Ende fanden«. In der Folge starb keines der von Niethammer behandelten Kinder mehr sprachlos und einsam.

Dietrich Niethammer, geboren 1939 in Leipzig, studierte Medizin an den Universitäten Tübingen, Wien und München. 1967 wurde er in Tübingen zum Dr. med. promoviert. Von 1969 bis 1971 folgte ein Forschungsaufenthalt am Department of Biochemistry in La Jolla, Kalifornien. 1972–1975 erhielt er die Facharztausbildung bei Prof. Dr. Kleihauer in Ulm, wo er am Aufbau der Kinderonkologie und einer Station für angeborene Immundefekte beteiligt war. 1975 führte er eine der beiden ersten allogenen Knochenmarktransplantationen in Deutschland bei einem Kind mit Aplastischer Anämie durch. 1977 habilitierte sich Niethammer für das Fach Kinderheilkunde. Von 1989 bis zu seiner Emeritierung 2005 war er Geschäftsführender Direktor der Universitäts-Kinderklinik Tübingen. 2005 wurde er für seine Verdienste in der Hochschulpolitik und als herausragender Wissenschaftler auf dem Gebiet der pädiatrischen Hämatologie und Onkologie mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet.


Veröffentlichungen zu Thema:

  • D. Niethammer: Wenn ein Kind schwer krank ist. Über den Umgang mit der Wahrheit. Band 11 der Reihe medizinHuman, Suhrkamp, Berlin 2010.
  • D. Niethammer: Das sprachlose Kind. Vom ehrlichen Umgang mit schwer kranken Kindern und Jugendlichen. Schattauer, Stuttgart 2008.