Objekte der wissenschaftlichen Sammlung
Das Objekt des Monats Dezember 2011 wird präsentiert von:
Wissenschaftliche Sammlungen und Wissenschaftskommunikation,
Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik, Humboldt-Universität zu Berlin
Braunsche Röhre BR 2
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Foto: Stefanie Bräuer
VEB NARVA Oberweißbach, nach 1969
9,5 cm x 9,5 cm x 27,0 cm
Medienarchäologischer Fundus am Lehrstuhl für Medientheorien des Instituts für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin
Der Physiker Ferdinand Braun veröffentlichte 1897 seinen folgenreichen Aufsatz „Ueber ein Verfahren zur Demonstration und zum Studium des zeitlichen Verlaufes variabler Ströme“ (Annalen der Physik und Chemie, Bd. 60, S. 552-559). Dort beschrieb er ein Experiment, bei dem er eine speziell dafür angefertigte, gläserne Vakuumröhre mit Fluoreszenz-Schicht einsetzte. Sein Ziel war es, Strom im Zeitverlauf sichtbar und messbar zu machen. Durch magnetische Ablenkung des in der Röhre erzeugten Elektronenstrahls gelang es Braun, eine Kurve auf dem fluoreszierenden Schirm zu schreiben. „Fig. 2a giebt die Schwingungsform des Wechselstromes der Strassburger Centrale [...]. Die Curve ist überraschend sinusartig“ (Braun S. 553-554). Brauns Überraschung über den gleichmäßig sinusförmigen Verlauf der Wechselstrom-Kurve hing mit der Unanschaulichkeit elektrischen Stroms zusammen: Die Möglichkeit zu dessen Sichtbarmachung begeisterte ihn.
Von diesem Punkt aus verläuft der weitere Weg der Braunschen Röhre hin zum mess-schreibenden Oszillographen und zur Bild-Röhre, die noch bis vor kurzem in Fernsehgeräten Verwendung fand. Eine epistemologisch orientierte Medienwissenschaft ordnet das Fernsehen in derartige wissenschaftshistorische Kontexte ein. So entstand Brauns Artikel keinesfalls im Rahmen des Vorhabens, ein Gerät zur Bildübertragung zu realisieren, vielmehr ist seine ursprünglich messtechnische Anordnung im Zusammenhang mit der zeitgleichen Elektronenforschung des späten 19. Jahrhunderts zu sehen: Im Jahr 1897, als Ferdinand Braun seinen Artikel zum Sichtbarmachen des elektrischen Stroms publizierte, beschrieb Joseph John Thomson das Elektron als Teilchen und bestimmte dessen Masse und Ladung.
Im medienarchäologischen Fundus der Humboldt-Universität findet sich die Braunsche Röhre neben Fernsehern, Rechenmaschinen, Grammophonen, Relais, Radios und Elektronenstrahl-Oszillographen. Der Blick unter die Gerätehüllen ermöglicht dabei die wissenschaftshistorische Einordnung einzelner Komponenten sowie derer Funktionen und zeigt Zusammenhänge, die von einer konventionellen Mediengeschichte übersehen werden müssen. Ursprünglich wurde die heute im Fundus befindliche Braunsche Röhre als Demonstrationsobjekt im Physik-Schulunterricht eingesetzt, um die Ablenkbarkeit von Elektronen zu veranschaulichen. Nun wird sie im Zuge des medienwissenschaftlichen Studiums erneut zur Lehre herangezogen, der Blick dabei jedoch bewusst verändert. Durch ihre klare Anordnung macht sie die medienepistemologische Dimension der Braunschen Röhre als Mess-Instrument nachvollziehbar – ein Ursprung, der am abgeschlossenen Design eines Fernsehers nicht mehr erfahrbar ist.
Stefanie Bräuer
Der Text ist aus einer studentischen Hausarbeit im Rahmen des Seminars ‚Mediengeschichte im Direktkontakt – Reflektierte Exploration des Medienarchäologischen Fundus’ am Lehrstuhl für Medientheorien des Instituts für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft hervorgegangen. Eingeübt wurde im Seminar das Beschreiben von Mediendingen anhand konkreter Geräte. Weitere Objektbeschreibungen zu Dingen aus dem Medienarchäologischen Fundus finden sich in einem Wiki, das durch studentische Bearbeitungen ständig erweitert wird.