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Objekte der wissenschaftlichen Sammlung

Das Objekt des Monats April 2012 wird präsentiert von:
Wissenschaftliche Sammlungen und Wissenschaftskommunikation,
Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik, Humboldt-Universität zu Berlin

Reif-Weide, Salix daphnoides, Klon DA 86

Reif-Weide, Salix daphnoides, Klon DA 86

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Weidenzweig einer Mutterpflanze bei der Sammlung am Naturstandort an der polnischen Ostseeküste

Gesammelt am 14.03.2007, Halbinsel Hel (Hela), Nähe der Ortschaft Chalupy, polnische Ostseeküste
Pflanztermin: 13.04.2007, als Steckhölzer, Versuchsgelände Zepernick der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät

Weide auf Rezept – das Multitalent Reif-Weide
Weiden (Salix) aus der Familie der Weidengewächse (Salicacae) sind seit Jahrtausenden im Umfeld des Menschen von Bedeutung, diente doch das Holz schon immer als biogener Brennstoff oder als Blindholz in der Möbelverarbeitung. Zweige wurden in der Korbindustrie verflochten, in Dächer verbaut oder finden sich in den Ausfachungen in Fachwerkbauten. Selbst als Viehfutter wurden Zweige und Blätter verwendet. Aber auch als Droge ist die Weide schon lange bekannt. Es gibt Belege, dass um 700 v. Chr. die Rinde aufgrund ihrer schmerzlindernden, fiebersenkenden und entzündungshemmenden Wirkung bei Gelenkschmerzen, Rheuma und Gicht empfohlen und eingesetzt wurde: als Tee, Umschläge oder Saft oder als Adstringens bei Blutungen.

Das dafür verantwortliche Salicin wird im Körper zu Salicylsäure metabolisiert und entfaltet so seine lindernde Wirkung, die man z. B. von dem synthetisch hergestellten Aspirin kennt. Es wird vermutet, dass neben der Salicylsäure weitere Verbindungen, u. a. ebenfalls in der Weide enthaltene Polyphenole, effektverstärkend fungieren.

In der heutigen Zeit sind viele Weidenarten und ihre natürlichen Standorte bedroht. Im Projekt zur Erhaltung und Nutzung pflanzengenetischer Ressourcen ex-situ, in welchem die Weiden-Klonsammlung des FG Urbane Ökophysiologie der Pflanzen eingebettet ist, ist das Ziel nicht nur der Schutz des natürlichen Lebensraumes der Weide, der Auen, sondern ebenso die Erhaltung der genetischen Vielfalt. Diese wurde durch Kartierung, Sammlung und der Anlage eines Weiden-Klonarchivs dokumentiert. Das in den letzten Jahren neu erwachte Interesse an nicht synthetischen, nebenwirkungsarmen Analgetika förderte zusätzlich die Fokussierung auf salicinreiche Weidenklone. Auf dem Versuchsgelände in Zepernick, welches zur Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät an der Humboldt-Universität zu Berlin gehört, stehen insgesamt 492 ausgewählte Weidenklone, die aufgrund ihrer großen artcharakteristischen Variabilität über verschiedene Gehalte unterschiedlicher sekundärer Pflanzeninhaltsstoffe verfügen.

Ein wichtiges Ziel dieser Klonsammlung war die Anlage eines Archivs salicylatreicher Weiden als Grundlage zur nachhaltigen Nutzung pflanzengenetischer Ressourcen. In den vergangenen Jahren wurden die Klone sowohl auf ihre Salicylatgehalte als auch auf ertragreiche Biomasseerzeugung untersucht und verglichen. Diese Sammlung stellt ein weltweit einzigartiges Selektionsquartier für die Gattung Salix dar.

In die Untersuchungen dieses Projektes wurden mit Salix daphnoides Vill., Salix purpurea L. und Salix pentandra L. regional gefährdete heimische Weidenarten einbezogen. Als besonders wertvoll für eine weitere Verwendung hinsichtlich der Salicin- und Biomassegewinnung stellt sich die Reif-Weide, S. daphnoides, dar. Die Maximalwerte im Salicingehalt (jeweiliger Klon mit dem höchsten Salicingehalt) in den drei Untersuchungsjahren lagen zwischen 9,2 und 15,5 % Salicin in der Trockenmasse der Rinde, das absolute Minimum eines Klones lag bei 1,5 % (Förster et al. 2008, 2010). Im Deutschen Arzneibuch werden Weidenarten für die Arzneimittelherstellung gefordert, die einen Gesamtgehalt von Salicyl-Derivaten von mindestens 1,5 %, berechnet als Salicin und bezogen auf die getrocknete Droge, aufweisen - die Reif-Weiden müssen diesen Vergleich nicht scheuen.

In Reih und Glied aufgepflanzt steht ein Bestand von insgesamt 200 Klonen der Reif-Weide auf der Zepernicker Versuchsfläche, aus dem unser Objekt des Monats, der Klon DA 86, durch seinen Salicin-Gehalt und seine erstaunliche Biomasse, eine weitere wertgebende Eigenschaft, aus den Vergleichsklonen herausragt.

Solche Klone können für die Pharmaindustrie die Basis für eine Produktion pflanzlicher Arzneistoffe und damit eine neue Generation von schmerz- und fiebersenkenden Medikamenten bilden. Der Anbau, die Aufbereitung, Verarbeitung der Weide und die Vermarktung innovativer Weidenrindenprodukte können gerade für einkommensschwache Gebiete eine wirtschaftliche Perspektive darstellen. Zusätzlich bietet sich ein solcher Weidenbestand zur Biomasseproduktion an.

Und es zeigt sich: Forschung, Wirtschaftlichkeit und Naturschutz können eine erfolgreiche Verbindung eingehen.
Matthias Zander


Literatur:


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