Objekte der wissenschaftlichen Sammlung
Das Objekt des Monats Mai 2012 wird präsentiert von:
Wissenschaftliche Sammlungen und Wissenschaftskommunikation,
Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik, Humboldt-Universität zu Berlin
Tonaufnahme einer keltischen Sprache
Zum Abspielen ist ein Quicktime-Plugin notwendig, das Sie kostenlos auf der Apple Quicktime Website herunterladen können.
Die Visualisierung der 1,39 Minuten langen Tonaufnahme zeigt längere Sprechpausen.
Lautarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin
Schellack-Schallplatte PK 457-1, Sprecher: Jean Le Glanec
Aufnahme: 6.10.1916, Köln-Wahn, 1,39 Minuten, digitalisiert am 27.2.2001
Ein Sprachwissenschaftler als Souffleur
Der erste Teil der bretonischen Tonaufnahme PK 457 aus dem Lautarchiv der Humboldt-Universität gibt die Lebensgeschichte des aus der Bretagne stammenden Kriegsgefangenen Jean Le Glanec wieder. Die Aufzeichnung aus dem 1. Weltkrieg vom 06.10.1916 wurde von der Phonographischen Kommission durchgeführt, die das Preußische Kultusministerium eingerichtet hatte, um möglichst viele verschiede Sprachen und Dialekte von Kriegsgefangen zu erfassen. Der Sprachwissenschaftler und Keltologe Rudolf Thurneysen assistierte bei der Aufnahme.
Auffällig sind wiederkehrende längere Pausen. Der Personalbogen der Aufnahme gibt einen kuriosen Hinweis über die Aufnahmesituation, die hellhörig werden lässt: „Lebensbeschreibung des Sprechers (vorgeflüstert von d. Fachmann)“.
Das Sprechen wurde von der Schriftsprache her erforscht und so wurde an ihr die gesamte Aufnahme ausgerichtet. Die mündliche Erzählung musste daher zuerst schriftlich fixiert werden. Da Jean Le Glanec nicht in seiner Muttersprache lesen konnte, war er nicht in der Lage den Text selber abzulesen. In der Aufnahme berichtet er: „Meine Mutter schickte mich im Alter von 8 Jahren auf die Schule der Ordensbrüder. Ich verließ die Schule im Alter von 8 Jahren … im Alter von 12 Jahren“. Jedoch war das Französische die Unterrichtssprache, und nicht das offiziell ignorierte Bretonische. Um nun eine eventuelle Abweichung vom zuvor minutiös festgelegten Text nicht zu gefährden, musste der Sprachwissenschaftler Thurneysen als Souffleur einspringen und dem Kriegsgefangenen seine eigene Lebensgeschichte in kleinen Einheiten vorsprechen. Die Situation überbot sich an Absurdität. Störungen waren vorprogrammiert, denn der Sprecher hatte Schwierigkeiten, der Flüsterstimme zu folgen. Die Aufnahme enthält „Verhaspler“ – wie das Beispiel der Übersetzung oben zeigt –, der Sprecher bleibt „hängen“.
Viele Aufnahmen des Lautarchivs harren nicht nur ihrer linguistischen Aufarbeitung, sondern bezüglich der Inhalte und Umstände auch einer kulturwissenschaftlichen Erschließung. Eine interdisziplinäre Erforschung der Bestände ist zu wünschen, um die mit den Objekten und Umständen verbundenen Sensibilitäten zu würdigen.
Belinda Albrecht
Der Text ist aus dem Seminar „Heute vor X Jahren … - Akustische Jubiläen. Herstellung von Audiobeiträgen über historische Tonaufnahmen“, das im Wintersemester 2011/2012 von Dr. Britta Lange am Institut für Kulturwissenschaft gehalten wurde, hervorgegangen.
Vom 15. Mai bis 6. Juli 2012 ist die Ausstellung „Was Wir Sehen – Bilder, Stimmen, Rauschen. Zur Kritik anthropometrischen Sammelns“ an der Humboldt-Universität zu sehen.
Atrium im Pergamon-Palais, Georgenstraße 47 10117 Berlin, montags bis freitags von 12 – 16 Uhr und nach Vereinbarung.
Die Ausstellung setzt sich mit der verstörenden Geschichte historischer Ton- und Bilddokumente aus dem südlichen Afrika auseinander. Sie beleuchtet audiovisuellen Repräsentationspraktiken kritisch mittels unterschiedlicher Ton- und Bildmedien und präsentiert u.a. eine Toninstallation zu Aufnahmen aus dem Lautarchiv der HU.