© Friedrich Schmidgall, Henrike Rabe (2013)
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© Friedrich Schmidgall, Henrike Rabe (2013)
Modell im Maßstab 1:50 des Clusters von Henrike Rabe und Catherine Slusher
Projekt (abgeschlossen)
Architekturen des Wissens

Architekturen des Wissens

Forschungsthema

Das Projekt Virtuelle und reale Architektur des Wissens ist in der Research Area D angesiedelt, die sich mit der Gestaltung und Beobachtung von Interdisziplinarität auseinandersetzt. Dem liegt die Annahme einer Parallelität von virtuellen und physischen Räumen zugrunde, die gleichermaßen essentiell für die Möglichkeiten wissenschaftlicher Zusammenarbeit sind. Raumgestaltung in diesem Sinne heißt Räume öffnen, aber auch Orientierung geben und strukturgebende Grenzen setzen.    
Der Terminus »Architektur« wird dabei einerseits im ursprünglichen wörtlichen Sinn von »Baukunst«, also für die Gestaltung von physischen Gebäuden, verwendet. Darüber hinaus wird er aber benutzt, um den Aufbau virtueller Organisationsformen zu beschreiben. Obwohl beide Bedeutungen des Wortes »Architektur« sehr verschieden erscheinen, lassen sich produktive Parallelen und Schnittstellen finden. Eine stimulierende Verknüpfung der virtuellen und realen Architekturen, das Lernen zweier verschiedener Welten voneinander und die Integration in ein stimmiges architektonisches Gesamtkonzept sind die zentralen Anliegen des Projektes. Forschung, Planung und Ausführung werden von einem interdisziplinären Team betreut, das sich aus den Disziplinen Design, Informationswissenschaft, Linguistik, Architektur sowie Wissens- und Kunsthistorie zusammensetzt.

Zielsetzung

Das Ziel des Projektes ist die Planung einer virtuellen und physischen Infrastruktur, die im Cluster implementiert und genutzt wird. Diese ist primär darauf ausgelegt, Interdisziplinarität zu ermöglichen, zu beobachten und kontinuierlich zu verbessern. Dabei ist es in besonderem Maße wichtig, keine starren und schwer zu ändernden Strukturen zu errichten. Kurze Zyklen zwischen Beobachtung und Anpassung erlauben wiederholte dynamische Umgestaltungen.
Konkret ist das Ziel, das potentiell zukünftige Gebäude des Clusters so zu gestalten, dass die Räumlichkeiten die heterogene, interdisziplinäre Forschungskonstellation des Clusters abbilden und fördern. Dabei gilt es, eine große Vielfalt von verschiedensten Arbeitssituationen zu schaffen: von großen Begegnungs- und Kommunikationsräumen bis hin zu disziplinären Rückzugsmöglichkeiten. Die physischen Räumlichkeiten müssen zu einem in sich schlüssigen Ganzen integriert werden, so dass disziplinäre Erfordernisse und interdisziplinäre Kommunikation sowie Sichtbarkeit und Rückzug mit den gegebenen Rahmenbedingungen des Gebäudes vereint werden.
Die virtuelle Architektur wiederum hat zur Aufgabe, sich schlüssig in die physische zu integrieren und diese zu ergänzen. Dabei geht es zunächst um den Aufbau von Wissensmanagementsystemen,  Forschungsdatenverwaltung, Austauschplattformen, Kommunikationskanälen sowie Softwareservices. Darüber hinaus steht aber die Realisierung einer Selbstbeobachtungsinfrastruktur im Vordergrund, die die interdisziplinären Prozesse des Clusters sowohl im physischen wie auch im virtuellen Raum protokollieren und analysieren soll. Beide zentralen Aktivitäten integrieren sich tief in die physische Architektur und sind bemüht, die Schranke des Digitalen zum Analogen hin zu durchbrechen, um nicht nur die Datei, sondern auch das Buch, nicht nur das digitale Bild, sondern auch das physische Objekt und nicht nur das getippte Protokoll, sondern auch die flüchtige Notiz auf ihre Rolle im interdisziplinären Forschungsprozess hin zu befragen. Die Datensammlung soll in einem semantischen Netz erfolgen, das in der Folge auf Korrelationen, Tendenzen, Veränderungen und Konstanten wissenschaftlicher Arbeit befragt und in visualisierter Form in den Cluster zurückgespiegelt werden kann. Auf diese Weise wird die physische Architektur einen einladenden Spielraum öffnen, dessen reale Bespielung durch die virtuelle Architektur ergänzt und beobachtet wird. In der Folge sollen sich die aus der Beobachtung ergebenden Erkenntnisse wiederum in der physischen Architektur manifestieren. Dieses Zusammendenken der beiden Architekturformen wird neben der praktischen Umsetzung auch auf theoretischer Ebene reflektiert werden, um eine disziplinbedingte Barriere im Denken von Infrastruktur zu beseitigen, die längst nicht mehr dem Alltagserleben entspricht. Eine Raumtheorie soll so in den Blick genommen werden, die Raum als per se schon physisch-virtuellen bzw. virtuell-physischen versteht und ihn vielmehr von den Schnittstellen und Übergängen als von den Grenzen und Barrieren her auszudenken bemüht ist.  

Durchführung

Im Rahmen der Durchführung wird es abwechselnd und iterativ Phasen gegenseitigen Austauschs und disziplinärer Arbeit geben. Ergebnisse und Teil-Ergebnisse, Fragen, Probleme und Ideen werden dabei innerhalb des Projekts, aber auch mit weiteren Clustermitgliedern diskutiert und so kontinuierlich adjustiert.
Die reale Infrastruktur des Clusters soll dann in Kooperation mit der Technischen Abteilung der Humboldt-Universität umgestaltet und erweitert werden. Bei der Gestaltung wird ein besonderer Fokus auf folgende Aspekte gelegt: die räumliche Umsetzung von Interdisziplinarität und Disziplinarität, die Schaffung vielfältiger Arbeitssituationen für zahlreiche Anforderungen und persönliche Arbeitsstile, und die permanente Experimentsituation, also das simultane Forschen, Testen, Entwickeln und Ändern der Infrastruktur. Für die Untersuchung ist insbesondere die Aufzeichnung und Analyse von Bewegung/Interaktion, Wissensfluss und zeitlichen Aspekten von Bedeutung. Werkzeuge sind sowohl gestalterische Werkzeuge wie Pläne, Skizzen, Diagramme, physische Modelle, 3D-Modelle, Modellfotos, Perspektiven und Filme, als auch wissenschaftliche Werkzeuge wie Beobachtung, Befragung, Aufzeichnung, Dokumentation, Verwaltung und Text.
Für die virtuelle Infrastruktur ist es geplant, eine umfassende Forschungsontologie aufzubauen. Dazu wird zunächst der für den Cluster angeschaffte Server mit dem Triplestore OWLIM ausgerüstet und entsprechend konfiguriert. Weitere Serversoftware für Datenaustausch (OwnCloud), Datenmanagement (DAM-System), Metadatenverwaltung (Zotero), Textindizierung (SOLR), Projektmanagement (Redmine), kollaborative Arbeit (Etherpad) und einige mehr wird in enger Absprache mit anderen Projekten und dem IT-Verantwortlichen des Clusters geplant und umgesetzt. Inhaltlich wird eine Top-Level-Ontologie erarbeitet, die in der Lage ist, verschiedenste wissenschaftliche Tätigkeiten zu modellieren und als Ontologie interpretierbar zu machen. Die Befüllung dieser Ontologie soll mithilfe eines Self-Monitoring-Werkzeugs (Diary) erfolgen, das Forschungstätigkeiten am eigenen Computer aufzeichnet. In der Folge sollen die so anfallenden Daten analysiert (R), visualisiert (D3) und an die Nutzer zurückgespiegelt werden (Drupal), um zu einem besseren und realistischeren Verständnis von interdisziplinären Forschungstätigkeiten zu kommen.    
Die Verbindung zwischen virtueller und physischer Architektur kommt durch die Gestaltung der Nutzerschnittstellen und Dienste zustande, die den Forscherinnen und Forschern einen reibungsarmen Zugang zum virtuellen und physischen Labor bieten werden. Analoges wird digitalisiert und Digitales wiederum materialisiert. Dazu kommen zunächst verschiedene Sensoren zum Tragen, die Bewegungsprofile und Kommunikationen im physischen Raum aufnehmen bis hin zur Digitalisierung beliebiger analoger Skizzen oder Notizen. Die Visualisierung wird dem Cluster helfen, sich selbst besser zu verstehen. Im Designlabor werden schließlich virtuelle Objekte materialisiert und somit in die physische Welt zurückgetragen.

Ergebnissicherung

Erklärtes methodisches Ziel ist es, Ergebnisse nicht erst am Projektende vorlegen und diskutieren zu können, sondern iterativ immer wieder Teilergebnisse und Schritte zur Diskussion zu stellen und das weitere Vorgehen darauf auszurichten. Statt zu Beginn starre architektonische Ziele festzulegen, die bei Bedarf nicht mehr geändert werden können, soll eine flexible Struktur zur Verfügung gestellt werden, die auf Basis der Ergebnisse Schritt für Schritt ausdifferenziert werden soll.
In diesem Sinne gibt es nur einige übergeordnete Ziele, die zu Projektende erreicht sein müssen. Dazu gehört eine bezogene und gelebte Architektur im Clustergebäude genauso wie eine funktionierende Ontologie und Serverinfrastruktur. Zwischen beiden Architekturen stehen vermittelnd verschiedene Schnittstellen, Dienste, Visualisierungen und Materialisierungen.
Das Maß, an dem sich das Projekt im Ganzen messen lassen will, ist in erster Linie die Belebtheit der Infrastruktur und die Innovativität der Ansätze. Wie sehr Infrastruktur angenommen und mit Leben gefüllt wird ist Beobachtungsgegenstand, Korrektiv und Maximierungsziel zugleich. Daher werden wir zusätzlich zu den beschriebenen Architekturen auch Meta-Architekturen entwickeln, die das Funktionieren oder Nicht-Funktionieren von Architekturen erfassen, messen und sichtbar machen können.     
Das Verhältnis dieser Architekturen zueinander und in Bezug zu einem neu durchdachten Raumverständnis bildet dabei den Gegenstand für die theoretische Seite des Projektes. Im Rahmen dieser geht es um die Darstellung der Erfahrungen und die Beschreibung des Projektprozesses selbst. Zu diesen Themen werden verschiedene Publikationen in interdisziplinärer Autorenschaft entstehen.