Baecker - Helmholtz Vorlesung Dezember 2010
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Baecker - Helmholtz Vorlesung Dezember 2010
Ort
Kinosaal der Humboldt-Universität zu Berlin
Unter den Linden 6

»Führung« ist ein zentraler soziologischer Begriff, der gleichwohl problematisch geworden ist, in Deutschland vor allem auch aufgrund historischer Erfahrung. Zudem stellt sich in demokratischen Gesellschaften die Frage danach, wie und nach welchen Kriterien Führung unter prinzipiell Gleichen eingerichtet werden soll; der öffentliche Diskurs wird von zwei Extremen gerahmt, nämlich Führung als ein emergentes Phänomen des gesellschaftlichen Willens und Experten-Führung als effektiver Vollzug von politischen und technologischen Sachzwängen. In seinem Vortrag wird Dirk Baecker das Thema vom Begriff der Entscheidungsfreiheit und ihrer Notwendigkeit her angehen.

»In einem unseligen Moment der deutschen Geschichte denkt Carl Schmitt, der Vordenker der nationalsozialistischen Bewegung, über den Begriff der Führung nach. Es gehe nicht um Herrschaft, nicht um Willkür, nicht um Tyrannei. Führung kommandiere nicht und diktiere nicht. Kein Bild sei dem Sachverhalt angemessen, vielmehr sei das treffende Bild, wenn es eines gäbe, selbst schon Führung. Es ginge um Artgleichheit zwischen Führung und Geführten und daraus abgeleitet um Treue und Gefolgschaft. Wenig später scheint die Kybernetik auf der Grundlage der damaligen Neurophysiologie diese Auffassung zu bestätigen. Steuerung und Lenkung des Gehirns seien im Wesentlichen auf der Basis von Redundanz, auf der Basis von Übereinstimmung und Auswechselbarkeit möglich. Allerdings ergänzt die Kybernetik diese Vermutung um einen Aspekt. Warren S. McCulloch spricht von der redundancy of potential command. Im Gehirn müsse jederzeit ein anderer Impuls die Führung übernehmen können, erst dann könne das Gehirn seine eigenen Anforderungen im Umgang mit der Umwelt bewältigen.«

Dirk Baecker studierte Soziologie und Nationalökonomie an den Universitäten Köln und Paris-IX (Dauphine). Er wurde promoviert und habilitierte sich im Fach Soziologie an der Universität Bielefeld. Verschiedene Forschungsaufenthalte führten ihn an die Stanford University in Kalifornien, USA, an die Johns Hopkins University in Maryland, USA, und an die London School of Economics and Political Sciences in London, Großbritannien. Er lehrte an der Universität Wien als Gastprofessor. Im Jahr 1996 wurde er an die Universität Witten/Herdecke auf den Reinhard-Mohn-Stiftungslehrstuhl für Unternehmensführung, Wirtschaftsethik und sozialen Wandel berufen und übernahm im Jahr 2000 dort den Lehrstuhl für Soziologie. Im selben Jahr wurde er Mitbegründer des Management Zentrums Witten. Seit 2007 ist er am Lehrstuhl für Kulturtheorie und -analyse an der Zeppelin University in Friedrichshafen tätig. Baecker ist vor allem als Wirtschafts- und Organisationssoziologe bekannt. Er forscht zu einer Vielzahl von soziologischen Fragestellungen wie Theorien des Managements sowie von Planungs- und Entscheidungsprozessen und zum Risiko-Begriff.

Mehr zum Thema:

  • Dirk Baecker (2009) Die Sache mit der Führung, Wien, Picus Verlag.