Dominique Hurth, "Soundless voices, bitten tongues and haptic hands, © Dominique Hurth, 2019
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Dominique Hurth, "Soundless voices, bitten tongues and haptic hands, © Dominique Hurth, 2019
Dominique Hurth, "Soundless voices, bitten tongues and haptic hands", Grafik: © Dominique Hurth, 2019
Event (abgeschlossen)
Im August: Month of Feminist Performance und Lange Nacht der Museen

15.08.2019 - 19:00 Uhr bis
31.08.2019 - 22:30 Uhr
Ort
Tieranatomisches Theater
Philippstraße 13 Campus Nord, Haus 3

Die Geschichte der Wissenschaft ist eine Geschichte der Frauen!
Im August präsentiert das Tieranatomische Theater der Humboldt-Universität zu Berlin zwei Performance-Serien der Künstlerinnen Dafna Maimon und Dominique Hurth. Die Werke der beiden Künstlerinnen behandeln die Biografien wichtiger Frauen der Geschichte, die vernachlässigt oder skandalisiert wurden. Sie sprechen über das Gute wie das Schlechte: Über herausragende wissenschaftliche Leistungen sowie über persönliche Schicksale, über Diskriminierung und Widerstand in Universitäten, Krankenhäusern und Haushalten. Spuren dieser Geschichten wurden in wissenschaftlichen Objekten, Archivalien und Presseberichten gesammelt, und in den fernen, aber beharrlichen Stimmen der Protagonistinnen selbst. Die künstlerischen Arbeiten sind in Dialog mit wissenschaftlichen Perspektiven aus den Gender Studies, der Philosophie und Wissenschaftsgeschichte entstanden.

Wary Mary

von Dafna Maimon
15., 16. und 17. August 2019, jeweils 19 Uhr, Dauer ca. 60 Min. (englisch)
Eintritt frei nach Verfügbarkeit

Dafna Maimons neues Stück beschreibt und vollzieht parallel zwei Erzählungen von ungehorsamen Frauen. Die erste Erzählung entspringt einer persönlichen Auseinandersetzung mit Mutterschaft und gegenwärtig wirkenden Formen des sozialen Drucks auf Frauen, hinsichtlich Reproduktion und Pflege.  

Maimons künstlerische Forschung bezieht verschiedene und oft tabuisierte Stimmen ein, welche die Entscheidungsfreiheit von Frauen zum Thema machen, wie Rachel Cusks Roman A Life’s Work, der von der Schwangerschaft der Autorin und dem ersten Jahr mit einem an Koliken leidenden Baby erzählt; sowie die Interviews der Soziologin Orna Donath mit einer Reihe von Frauen, die offen darüber sprechen, dass sie es bereuen, Mütter geworden zu sein. Diese Stimmen verschmelzen in dem Versuch der Erzählerin, Punkte zu verbinden und Linien zu ziehen: Sind die persönlichen Wünsche tatsächlich ihre eigenen oder bloß ein Ausdruck gesellschaftlich gefasster Rollenbilder? In Maimons Stück wirkt dieses Verhältnis als körperliches und geistiges Ringen mit allen Kräften: Es zeigt Frauen, die auf absurde Weise hin- und hergerissen, gedehnt und heimgesucht scheinen, im Versuch übertriebenen Vorstellungen des Mutterseins zu entsprechen.

Neben dieser zeitgenössischen Erzählung spukt eine zweite, historische Frau durch die Inszenierung: die Gestalt von Mary Mallon oder ‚Typhus-Mary‘, die um die Jahrhundertwende als erste ‚Superspreaderin‘ bekannt wurde. Sie war Wirtin einer Krankheit, ohne selbst jemals krank zu werden. Stellvertretend für viele solcher ‚Marys‘ in Maimons Geschichte wurde Mary Mallon schließlich unter Quarantäne gestellt und verbüßte ihre Strafe für die unwissentliche Infektion ihrer Arbeitgeber, obwohl sie ihren eigenen Zustand nie verstand. Mallon war eine zugewanderte, alleinstehende, kinderlose Frau – die Erklärung ihres Körpers zur Bedrohung für die öffentliche Gesundheit spiegelt vielschichtige soziale Ängste wider. Beide Erzählungen erforschen die virale und psychologische Ansteckung – der Körper der Frau als Trägermaterial, ein Ort der Gefahr und Fortpflanzung – innerhalb eines grotesken, auf die Spitze getriebenen Szenarios und inmitten humorvoller Verkörperungen von Wünschen und Ängsten.  

Das Stück ist Teil der Performance-Reihe ASSEMBLE, kuratiert von Adela Yawitz und Anna Gien. Maimons künstlerische Forschung wurde im Dialog mit dem TA T und akademischen Perspektiven zu Gender und Biopolitik an der Humboldt-Universität entwickelt. 

Dafna Maimons Werke können als eine Reihe von rebellischen ‚Gefühlskartographien‘ beschrieben werden. Ihre Arbeiten wurden unter anderem im KW Institute for Contemporary Art und in der Galerie Wedding in Berlin gezeigt, im Kunstverein Braunschweig, MoMa PS1 in New York, Musée d’art et d’histoire du Judaïsme in Paris, Kim Contemporary Art Center in Riga, Ujazdowski Castle Centre for Contemporary Art in Warschau und Lilith Performance Studio in Malmö. Sie absolvierte künstlerische Residenzen im Künstlerhaus Bethanien in Berlin, IASPIS in Stockholm, Lower Manhattan Cultural Council und an der Skowhegan School of Sculpture and Painting in Maine, USA. Maimon ist Gründungsmitglied des Künstlerkollektivs Conglomerate. Seit 2016 unterrichtet sie Videokunst am Bard College Berlin.


Soundless voices, bitten tongues, haptic hands

von Dominique Hurth
31. August 2019, Lange Nacht der Museen 
19.00, 20.30 Uhr und 22 Uhr, Dauer jeweils ca. 30 Min. (deutsch und englisch)

»In der Geschichte stehen sie für einen allgemeinen wissenschaftlichen Fortschritt, aber als Instrumente existieren sie nur in dem Moment, in dem sie eine bestimmte Aufgabe erfüllen. In dem Moment, in dem ich sie betrachte, sind die Objekte nicht. Leise, staubfrei, funktionslos, bleiben sie unter Glas erhalten und sind nicht.« - Dominique Hurth

Die Künstlerin Dominique Hurth verbindet in ihrem Werk Soundless voices, bitten tongues, haptic hands drei Objektbiografien mit drei Frauenbiografien, die in der offiziellen Geschichtsschreibung oft ignoriert oder vergessen wurden. Lise Meitner (1878–1968), Elsa Neumann (1872–1902) und Lydia Rabinowitsch-Kempner (1871–1935) waren drei Wissenschaftlerinnen, die für bahnbrechende Forschungen in Physik und Mikrobiologie stehen: Meitner formulierte die Theorie der Kernspaltung, Rabinowitsch-Kempner beschrieb die Übertragung der Tuberkulose. Als Frauen stehen sie auch für die Emanzipation in den Naturwissenschaften. Neumann war die erste Frau in Berlin, die in Physik promoviert wurde, und Rabinowitsch-Kempner war die erste Frau, die eine Professur an der Berliner Universität erhielt, der Vorläuferin der Humboldt-Universität. 

In ihrer dreiteiligen Performance besetzt die Künstlerin die von der Leere geschaffene Stille und lässt die Frauen und Objekte sprechen. Sie recherchierte die Biographien der Objekte und ihrer drei Protagonistinnen in verschiedenen wissenschaftlichen Archiven. Dazu gehören die Sammlung historischer physikalischer Instrumente der Humboldt-Universität zu Berlin Adlershof, das Archiv der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin Dahlem und das Churchill Archives Centre in Cambridge.

Dominique Hurth hat die Objekte für ihre Performance durch die Verwendung von geblasenem Glas skulptural umgeformt. Auf diese Weise werden ein Funkeninduktor, eine Ionenröhre und eine Reihe von Pipetten vergrößert reproduziert. Luft wird in den Rohstoff geblasen, um ihm eine Form zu geben. Wie durch einen Körper wird auch hier durch das Material geatmet – und es ist wiederum die Luft, die die Objekte durch Sprache aktiviert. Für einen Moment gewinnen die stillen Behälter an Stimme, um später in den Zustand der Geräuschlosigkeit zurückzukehren. 
Man beißt sich für gewöhnlich auf die Zunge, um sich selbst daran zu hindern etwas zu sagen. In einer spekulativen und polyphonen Weise ergründen die versiegelten Gefäße, was sie über die Hände hinter den Instrumenten erzählen können. Die Gegenstände werden zu Subjekten: Sie sprechen und handeln. Sie werden verhandelt – gehalten, gehandhabt, (her-)ausgesprochen.

Dominique Hurth beschäftigt sich mit der Bedeutung und der Lesbarkeit von Objekten und historischen Ereignissen. Ihre Arbeiten wurden unter anderem im Palais de Tokyo in Paris gezeigt, Fundacio Tapies in Barcelona, MAMO - Cité Radieuse in Marseille, Hordaland Art Centre in Bergen, after the butcher in Berlin, Hamburger Bahnhof in Berlin, MABA Nogent-sur-Marne, Haeler Echo in New York, Cuenca Biennale in Ecuador, IFP Beijing, Wildtsches Haus in Basel, Die Raum in Berlin und Joy Forum in Bergen. Sie erhielt mehrere Stipendien und veröffentlicht regelmäßig in Formaten von Künstlerbüchern und Editionen.


Tickets
an der Abendkasse und im VVK der Langen Nacht der Museen
Spartickets bis 19. August:
Erwachsene, ohne Ermäßigung 12,- Euro (danach 18,- Euro)
Ermäßigtes Ticket 10,- Euro (danach 12,- Euro)
Weitere Informationen auf der Website der Langen Nacht der Museen unter:
www.lange-nacht-der-museen.de

Impressum

Wary Mary von Dafna Maimon ist Teil der Performance-Reihe ASSEMBLE. Kuratorinnen: Adela Yawitz und Anna Gien, Produktionsassistenz: Elsa Terenzani, Performerinnen: Rosalind Masson, Leah Katz, Emma Waltraud Howes, Lulu Obermayer, Musik: Nathan Gray, Assistenz Kostüme: Tea Palmelund, wissenschaftliche Referenz: Kerstin Palm, Humboldt-Universität zu Berlin, Pressearbeit: Wayra Schübel.
ASSEMBLE wird gefördert durch Hauptstadtkulturfonds, Berlin.

Soundless voices, bitten tongues, haptic hands von Dominique Hurth entstand in Koproduktion mit dem Tieranatomischen Theater Berlin (2019). Das Drehbuch zur Performance entstand in Gesprächen mit der Technikphilosophin Anne Lefebvre (ENS Paris-Saclay), der Autorin Daniela Cascella (Sheffield Hallam University) und der Kulturanthropologin Silvy Chakkalakal (Humboldt-Universität). Darsteller_innen: Elliott Cennetoglu und Lina Campanella. Produktions- und Rechercheassistenz: Zoé Thonet. Kurator Tieranatomisches Theater: Felix Sattler.

Gefördert durch

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Hauptstadtkulturfonds

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ASSEMBLE

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Lange Nacht der Museen