Charité: Johannes-Müller-Institut für Physiologie; Christoph Knoch
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Charité: Johannes-Müller-Institut für Physiologie; Christoph Knoch
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Über uns

Bild Schrift Zahl. Gründungsprojekt des Helmholtz-Zentrums für Kulturtechnik

Theorie und Geschichte der Kulturtechniken

Der Begriff der Kulturtechnik, dessen historischer und theoretischer Durchdringung sich ein Schwerpunkt des Helmholtz-Zentrums widmet, baut auf dem Zusammenspiel von Bild, Schrift und Zahl auf, das von der DFG-Forschergruppe Bild Schrift Zahl (BSZ) exemplarisch untersucht wurde. 

Die Forschergruppe BSZ ist in den Jahren 2001 - 2007 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert worden. Die einzelnen Teilprojekte der Forschergruppe »Bild-Schrift-Zahl« wurden von Hochschullehrern der Humboldt-Universität, der Technischen Universität sowie der Freien Universität geleitet.  Bearbeitet wurde das Themenfeld zwischen Technik und Kultur unter dem Eindruck der »Digitalen Revolution«, die durch den umfassenden Einsatz von Computern und offenen Rechnernetzen weit über die Wissenschaften hinaus charakterisiert ist.

Das Spektrum der BSZ-Forschungen überdeckt Bild, Schrift und Zahl als Basismedien der modernen Kommunikation - in ihrer historischen Genese bis zu ihrer aktuellen Wirkmächtigkeit bei der digitalen Kodierung, Speicherung und Verarbeitung. Einzelthemen reichen von Rechen- und Kalendertechniken der Kulturen des Zweistromlands, der Formierung der griechischen Geometrie und des griechischen Alphabets, mittelalterlichen Schreib-, Zeichen- und Rechenformen oder dem frühen Buchdruck bis zu Hypertexten, zum technischen Bild, zu visuellen Argumentationsweisen und zu programmierten Modellbildungen.

Selbstverständlich konnte nicht das ganze Feld von Bild, Schrift und Zahl abgedeckt werden, was ja in gewisser Weise eine Definition aller Kulturtechnik darstellt. Die Gruppe griff also auf die reichhaltigen Detaildarstellungen unterschiedlicher Einzelwissenschaften zurück und konzentrierte sich auf Bruchlinien und Differenzen, die zu medialen Transformationen und Transfers führen - oder geführt haben. Akzente lagen einerseits auf einer medienhistorischen Analyse und andererseits auf dem aktuellen Prozeß der Digitalisierung. Allgemeiner gesagt, ging es vorrangig um die mathematisch-orientierten Symboltechniken und um die Umbrüche in diesen Symboltechniken.

Der Begriff »Kulturtechnik«, der die Arbeit des Helmholtz-Zentrums beschreibt, wird so genauer definiert - und auch eingeschränkt. Es geht nicht um ein organisch gewachsenes, gar umfassendes Bild von »Kultur«, sondern um eine Bestimmung wesentlicher Elemente an ihren Entstehungs- und Wandlungsstellen. Das Ziel ist nicht die vollständige Bestandaufnahme, sondern die präzise Bestimmung des Transfers von Vorstellungen, von Kultur und von Technik - bis hin zum Eingriff in aktuelle innerwissenschaftliche Diskussionsprozesse.

Projekte

2004 - 2007

  • Repräsentation als Kulturtechnik (Bredekamp, Schneider)
  • Die Alphabetisierung der Mathematik (Brüning, Meynen)
  • Zeigen und Verweisen (Brüning, Meynen)
  • Kulturtechniken: Ordnungsinstrumente (Cancik-Kirschbaum)
  • Bild, Schrift, Zahl in der Turing-Galaxis (Coy, Grassmuck)
  • Musik und Mathematik (Kittler, v. Hilgers, Ofak)
  • Von der Schrift zur Spur (Krämer, Grube, Kogge)
  • Kulturtechniken der Synchronisation (Macho, Hörl, Dennhardt)
  • Aufklärung des Modellbegriffs (Mahr, Wendler, Gulden)
  • Die Lesbarkeit der Welt (Wenzel, Münkner, Wedell)

2001 - 2004

  • »Stoicheia« (Brüning)
  • Zur Verschränkung von Bild, Schrift und Zahl im Kalender (Macho)
  • Die Lesbarkeit der Welt (Wenzel)
  • Repräsentationsprobleme unter Ludwig XIV (Bredekamp)
  • Die Trigonometrie von Bild und Klang (Kittler)
  • »Schriftbildlichkeit« (Krämer)
  • Visuelle Argumentationen (Coy)
  • Die Digitalisierung von Bild, Schrift, Zahl und Ton (Mahr) 

Repräsentation als Kulturtechnik. Analyse der historischen Repräsentationsformung unter der Prämisse des Bildes

Horst Bredekamp, Pablo Schneider

Repräsentation ist trotz aller historischen Veränderungen ihrer Formen und ihrer theoretischen Begründungen ein markanter Bestandteil des kommunikativen Gefüges und dessen Hierarchisierung geblieben. Die Aufklärung konnte den Begriff zwar einer kritischen Betrachtung unterziehen, aber auch sie hat ihn nicht grundlegend in Frage gestellt, und dasselbe gilt für Versuche des zwanzigsten Jahrhundert, ihn durch linguistisch und diskurstheoretisch bestimmte Theorien gleichsam zu unterlaufen oder auch zu diskreditieren. Die immer noch von einem negativen Grundverständnis ausgehende Deutung als einer Überzeugungsstrategie hat die Analyse des Begriffs nicht befördert. Das Projekt versucht einen anderen Weg zu beschreiten, indem es Repräsentation auf ihre Funktion als eine bildtheoretisch definierte Kulturtechnik fokussiert, bei der die konstruktiven Möglichkeiten im Zentrum stehen sollen, um das Bild in seinem produktiven Dualismus deuten zu können. Denn es war sowohl Trägermedium, als auch Denkanleitung, die es ermöglichte, die Repräsentation zu strukturieren und in der Ausgestaltung einer Kulturtechnik zu etablieren.

In ihrem Wechselspiel von höchst variablen Repräsentationsformen und einer entsprechend kontroversen und grundsätzlich geführten Diskussionen bietet die Frühe Neuzeit ein unausgeschöpftes Reservoir. Insbesondere die Diskrepanz zwischen den »Mysterien« eines souveränen Herrschaftssystems und Erkenntnissen der Naturwissenschaften konnte im Bild ausgedrückt und stabilisiert werden. Besonders seine ikonischen Qualitäten, die im produktiven Dilemma der annähernden aber nie zu vollendenden Beschreibung begründet liegen, bergen einen grundlegenden Aspekt der Repräsentation in sich, der für die Geschichte der Kunst noch zu deuten ist.


Die Alphabetisierung der Mathematik. Elemente einer Kulturgeschichte des Diagramms

Jochen Brüning, Gloria Meynen

Die Entstehung der deduktiven Mathematik verdankt sich im Wesentlichen einer kulturtechnischen Innovation, einer Kombination aus Buchstaben und Linien, dem beschrifteten Diagramm. Seit der Mitte des 5. Jahrhunderts ermöglicht es das beschriftete Diagramm, Zahlen, Buchstaben und Bilder ineinander zu überführen. Es ermöglicht eine Technik des Zeigens und Verweisens, die in den Elementen des Euklid vorläufig eine beispiellose Formalisierung erreicht. Das Projekt fragt deshalb am Beispiel der Euklidischen Elemente nach den medialen Bedingungen der deduktiven Mathematik. Der Schwerpunkt liegt auf der Verweistechnik der Euklidischen Diagramme und den implizierten Beziehungen zwischen Bild, Schrift und Zahl. Im Zentrum stehen die Techniken des Beweisens. Deshalb interessieren besonders zwei Aspekte:

  1. Ein erster Blick gilt den Schreib- und Bildflächen der Geometrie. Mit der Frage nach der Materialität  mathematischer Beweise gilt er einem Aspekt, den die Euklidischen Elemente vollständig ausblenden.

  2. Da wir davon ausgehen, dass die Materialität der Bildflächen die Operationen des Diagramms maßgeblich bestimmt, fällt ein zweiter Blick von den Medien auf die Werkzeuge des Diagramms: nämlich auf Linien und Buchstaben.

Das Diagramm vereint Elemente der Arithmetik und Geometrie. Es ist das Produkt mannigfaltiger Übersetzungsprozesse zwischen der Astronomie der Ägypter, den geometrischen Reiss- und Aufschnürungsverfahren des ionischen Tempelbaus und der Musiktheorie der Pythagoreer. Die Aufmerksamkeit des Projektes liegt auf den Überträgen zwischen Geometrie und Arithmetik mit der Überzeugung, dass die neue Kulturtechnik des beschrifteten Diagramms an kulturellen und technologischen Bruchstellen entsteht.


Zeigen und Verweisen. Das Diagramm als Kulturtechnik

Jochen Brüning, Gloria Meynen

Projekt gefördert von der Fritz Thyssen Stiftung

Die Entstehung der deduktiven Mathematik verdankt sich im Wesentlichen einer kulturtechnischen Innovation, einer Kombination aus Buchstaben und Linien – dem beschrifteten Diagramm. Der früheste Gebrauch des beschrifteten Diagramms findet sich um 440 v. Chr. in den Möndchenquadraturen des Hippokrates v. Chios. Seit der Mitte des 5. Jahrhunderts ermöglicht es das beschriftete Diagramm, Zahlen, Buchstaben und Linien ineinander zu überführen, Visualität durch den Rückgriff auf Buchstaben bildlos zu erzeugen. Diese neue Form der Visualität, die nicht mehr allein auf Anschauung und Anzahlenkunde gründet, ermöglicht eine Technik des Zeigens und Verweisens, die eng mit den ersten mathematischen Lehrbüchern, dem Format der Elementbücher (stoicheia) verknüpft ist.

Der Gegenstand des Projektes ist die visuelle Produktion von Abstraktion und Idealität. Anhand einer Kulturgeschichte mathematischer Beweisverfahren soll untersucht werden, wie deduktive Wahrheit auf den Bildflächen der Geometrie erzeugt wird. Der Fokus des Projektes liegt deshalb auf dem Verhältnis von Visualität und Bildlosigkeit und auf der Frage, wie Evidenz und Wahrheit in den deduktiven Beweisen so sichtbar zu einer Funktion des Bildes werden konnten.


Kulturtechniken: Ordnungsinstrumente. Untersuchungen zur altorientalischen Überlieferung

Eva Cancik-Kirschbaum

Die altorientalische Überlieferung dokumentiert über einen Zeitraum von mehreren Jahrtausenden in großer Vielfalt Formen, Entwicklungen und Funktionsweisen jener Kulturtechniken, durch die sich Phänomene wie »Bild«, »Schrift« und »Zahl« konstituieren. Der kulturgeschichtliche Erfolg dieser ’Medien' beruht nicht zuletzt auf ihrem hohen Ordnungspotential und ihrer fast unbegrenzten Kompatibilität. In drei Fallstudien zur keilschriftlichen Überlieferung des Alten Orients soll die produktive Verschränkung dieser Kulturtechniken in verschiedenen historischen Kontexten näher untersucht werden. Die drei Themenkomplexe vermitteln einen Eindruck von der Breite des altorientalischen Materials. Zugleich tragen sie der Vielfalt der Zugangs-möglich-keiten Rechnung, die durch die Einbindung des Projektes in die Forschergruppe »Bild - Schrift - Zahl« am Helmholtz-Zentrum ermöglicht wird. Die altorientalischen Funde und Befunde - überwiegend im Stadium der Ersterschließung und somit schwer zugänglich - profitieren von den hier im interdisziplinären Dialog entwickelten Fragestellungen und Thesen. Als historische Exempla für Erfolg, Irrtum und Aporie, Tradition, Neuerung und Entwicklung auf den Gebieten des Zählens, Abbildens, Schreibens und Messens erweitern sie die Materialbasis für die Forschungen im Rahmen von BSZ.


Bild, Schrift, Zahl in der Turing-Galaxis. Die technischen und soziokulturellen Hintergründe geistigen Eigentums unter den Bedingungen multimedialer Digitalisierung und globaler Vernetzung

Wolfgang Coy, Volker Grassmuck

Derzeit ist ein heftiger Umbruch im Umgang mit geistigem Eigentum zu vermerken. Das deutsche Urheberrecht wurde auf Grund internationaler Vorgaben an digitale Techniken angepasst. Patentrecht wird im EU-Parlament kontrovers diskutiert und steht vor einer wesentlichen Erweiterung. Nicht nur Medienunternehmen formulieren weit gehende ökonomische Ansprüche, auch Wissenschaft und Öffentlichkeit besitzen gewachsene kulturelle Interessen an Zugang und Nutzung von Wissen. Auslöser solch heftiger Debatten sind Digitalisierung und Vernetzung und damit einhergehende technische Veränderungen bei Herstellung, Speicherung und Distribution multimedialer Artefakte. In der Folge befindet sich die gewachsene Wissensordnung in einem Strukturwandel, der kulturelle Praktiken, ökonomische Beziehungen, technologische Trajektorien, ebenso wie seinen politischen Regulierungsrahmen grundlegend verändert. Dies betrifft sogar Basisbegriffe wie Autor, Werk und Wissen. Es ist somit geboten, neben den rechtlichen und ökonomischen Bedingungen des »digitalisierten« geistigen Eigentums auch dessen technische Basis und seine kulturelle Tradition zu betrachten.

Im Zentrum des Projektes steht die Frage nach Ausgleich unterschiedlicher Ansprüche: der persönlichkeits- und vermögensrechtlichen Interessen von Autoren und Erfindern, der Verwertungsinteressen von Verlegern und anderen Parteien sowie der Interessen der Allgemeinheit. An Hand konkreter Fragestellungen wird das Feld »Bild-Schrift-Zahl« in seinen kultur-technischen Verzahnungen beleuchtet, um die aktuellen Debatten um geistiges Eigentum aus der juristisch-ökonomischen Engführung herauszulösen und eine offenere Diskussion auf dem Weg zur Turing-Galaxis anzuregen.


Musik und Mathematik

Friedrich Kittler, Philip v. Hilgers, Ana Ofak

Ziel der Forschergruppe »Bild Schrift Zahl« war und ist es, die drei elementaren Kulturtechniken des Zeigens, Schreibens und Rechnens in ihren historischen Kombinationen und Transformationen zu erforschen und auf diesem Weg zu einer Kulturgeschichte von unten zu kommen.

Daher ist es - ganz wie im Teilprojekt Brüning - von der Sache her geboten, sich der Grundlegung der europäischen Wissenschaften bei den Griechen zu versichern. Es waren Pythagoras von Samos und seine Schüler in Unteritalien, die mit den Grundbegriffen der Musiktheorie (Harmonie, Oktave, Intervall) die Mathematik als eine Wissenschaft allgemeiner Gesetze geschaffen haben. Das Begriffspaar Gerade/Ungerade machte es möglich, Konsonanz als solche, d. h. ohne Angabe konkreter Zahlen zu denken. Eben damit entstand die Form der Wissenschaft als kulturtechnischer Gemeinschaftspraxis, wie Schulen, Akademien, Universitäten sie bis heute weiterführen.

Der Ausgang von elementaren Kulturtechniken verspricht  neue zusammenführende Ergebnisse, weil er Bild, Schrift, Zahl in ihren Wechselwirkungen erkennbar macht. Die griechische Schrift selber, dies erste und einzige Vokalalphabet der Geschichte, scheint einer neuen These zufolge (Powell, 1991) der Grund zu sein, weshalb Gesang und Musik zur Sache eines Schreibens und eines Rechnens werden konnten. Beide setzten dieselbe Kulturtechnik ein, weil griechische Ziffern eine Obermenge des Alphabets waren.

Umgekehrt entstand die Geometrie als von der Arithmetik getrenntes wissenschaftliches Bild der Dinge aus einer fundamentalen Entdeckung der Pythagoreer, da nämlich nicht alle Intervalle bzw. geometrischen Strecken rational sind. Wenn aber Arithmetik und Geometrie in dieser ihrer  Komplementarität alles, »was« überhaupt »ist«, im Wesen zu fassen vermögen,  schießen Bild, Schrift, Zahl - soweit ich sehen kann, zum erstenmal - zu einer Ontologie zusammen.


Von der Schrift zur Spur
Das Spurenlesen als Kulturtechnik im Spannungsfeld von Medientheorie, Genforschung und Computertechnik

Sybille Krämer, Gernot Grube, Werner Kogge

Über Jahrzehnte war die kulturtheoretische Diskussion geprägt von einer Identifizierung von Kultur mit Text bzw. Sprachlichkeit. Die Forschergruppe »Bild, Schrift, Zahl« entfaltete eine Alternative zu diesem textfundierten Kulturverständnis, indem sie historisch variable Techniken im Umgang mit nicht-sprachlichen Symbolsystemen (Bild, Schrift, Ziffern) als Kulturtechniken und zugleich wissenserzeugende und -transformierende Leistungen rekonstruiert. Ziel dieses neuen Projektes ist die begriffliche Klärung und theoretische Fundierung der Protoform einer Kulturtechnik: Es geht um die Spur und das Spurenlesen. Drei Akzentverschiebungen gegenüber dem vergangenen Förderungszeitraum sind mit dem Übergang vom 'Schriftprojekt' (2001-2003) zum 'Spurprojekt' (2004-2006) verbunden:

  1. Das Lesen geht - bei der Spur - dem Schreiben voraus und rückt somit ins Zentrum des Spurkonzeptes. Anders als bei der Schrift, akzentuiert die Idee der Spur die pragmatische Dimension des Lesens, da erst das Spurenlesen eine Markierung überhaupt zur Spur werden lässt.

  2. Zugleich überschreitet das Spurenlesen die Domäne der menschlichen Kultur - dies ebenfalls im Unterschied zur Schrift - und ist auch für biologische, insbes. für genetische Abläufe signifikant. Ist hier eine Brücke zwischen Kulturtechniken und biologischen Prozessen gefunden, eine Brücke, die nicht alleine vom Unterschied zwischen buchstäblicher und metaphorischer Bedeutung zehrt, sondern aufschlussreiche Analogien zwischen kulturellen und biologisch-zellulären Szenarien hervortreten lässt?

  3. Der Computer ist nicht bloß eine Schrift- und Zeichentransformationsmaschine, sondern - und das wird epistemologisch immer wichtiger - eine Visualisierungsmaschine. Zu dem, was er ’ins Bild setzt' gehören auch die Spuren dessen, was unserer Wahrnehmung prinzipiell entzogen ist (z.B. Nanotechnologie). Im Zuge dieses Spuren(vor)lesens durch den Computer, werden ’epistemische Dinge', also Wissensobjekte, nicht alleine veranschaulicht, vielmehr zugleich auch hervorgebracht.

Das Projekt zielt darauf ab, durch begriffliche Explikation von verschiedenartigen Prozessen des Spurenlesens die Kulturtechnik des Lesens auf eine Weise zu spezifizieren, die die Gleichsetzung von Lesen mit ’Textlesen' lockert und nicht-hermeneutische Dimensionen des Lesens (Etymologie: ’lesen' als ’sammeln', ’auflesen') Profil gewinnen lässt.


Kulturtechniken der Synchronisation

Thomas Macho, Erich Hörl, Robert Dennhardt

Das Projekt bezweckt eine exemplarische Untersuchung der Verschränkungen und Wechselwirkungen von Bild, Schrift und Zahl in den Kulturtechniken der Synchronisation. Dabei sollen besonders auch historische Gewichtsverschiebungen und Interferenzen zwischen den Techniken der Zeitrechnung und der Zeitmessung analysiert werden. Im Erstantrag stand der Kalender - als spezifische Kulturtechnik der Synchronisation - im Zentrum. Nun sollen auch die - seit der Gregorianischen Reform von 1582 - zunehmend auftretenden Perspektiven und Problemhorizonte zeitlicher Synchronisation in der Moderne genauer beleuchtet werden.

Um das Spektrum der Verschiebungen und Interferenzen zwischen Zeitrechnung und Zeitmessung in den Techniken der Synchronisation präzise erfassen zu können, werden drei zentrale, epochentypische Beispiele der Synchronisation herausgegriffen und - insbesondere hinsichtlich ihrer Visualisierungsstrategien in Bildern, Texten und mathematischen Operationen - untersucht: erstens die Kulturtechniken der Synchronisation von Lunar- und Solarzyklen in den alten Hochkulturen, unter vorrangigem Bezug auf die Durchsetzung verbindlicher Sonnenkalendersysteme (Stichwort: »Solarisierung«), zweitens die Kulturtechniken der Synchronisation zyklischer und linearer Systeme der Zeitrechnung, also die gesamte Problematik der Großperiodenrechnung in Kalendersystemen von der Spätantike bis zur frühen Neuzeit (Stichwort: »Großes Jahr«), sowie drittens die Kulturtechniken der Synchronisation in der Moderne, wobei hier ein Schwerpunkt gelegt wird auf die apparativen Techniken der Synchronisation von Prozessen und Aufzeichnungen dieser Prozesse, von der Bildtelegraphie bis zur Taktung von Computern (Stichwort: »Selbstschreiber«). 


Aufklärung des Modellbegriffs

Bernd Mahr, Reinhard Wendler, Jens Gulden

Das Projekt will die in Vorarbeiten entwickelte Hypothese eines einheitlichen Konzeptes des Modellseins verfolgen und dadurch zur Aufklärung des Modellbegriffs beitragen. Im Verbund dreier Teilprojekte sollen (1) mit einer konzeptuellen Analyse und Klassifikation der Sachverhalte, die das Modellsein konstituieren, Grundlagen einer allgemeinen Modelltheorie entwickelt, (2) in kunsthistorischen und bildtheoretischen Untersuchungen zu hierarchischen Strukturen das Phänomen der Umbildung und Fassbarmachung durch Modelle studiert, und (3) mit dem Studium diagrammatischer Repräsentationsformen Bedingungen und Techniken einer formalen Disziplin und Heuristik des Modellierens ermittelt werden. Abgestimmt mit diesen Arbeiten und auf das Studium ausgewählter historischer und aktueller Beispiele gestützt, sollen Formen der Entwicklung und Nutzung von Modellen in prototypischen pragmatischen Kontexten gefunden werden, und es soll die Frage erforscht werden, ob Modelle als fundamentale Kulturtechnik der Abstraktion und Übertragung aufzufassen sind. Durch die Geschichte des Modellbegriffs nahe gelegt, werden bei der Projektarbeit Ordnungen und Gitter im Vordergrund stehen, die in der Form von Aufteilungen, Anordnungen, Hierarchien, Leitern, Bäumen, Rastern, Matrizen, Triangulierungen und mehrdimensionalen Gittern die Architektur vieler Modelle bilden.


Die Lesbarkeit der Welt
Hand und Wort - Hand und Technik

Horst Wenzel, Jörn Münkner, Moritz Wedell

Im ersten Bewilligungszeitraum ist es gelungen, die Repräsentation der Hand in medialen Umbrüchen darzustellen, die Transformation des konzeptuellen und semantischen Verhältnisses von zählen und erzählen zu untersuchen und die Verknüpfung von Hand, Text, Bild und Zahl als eine Vorform technologisch vermittelter Audiovisualität einsichtig zu machen. In der zweiten Antragsphase will das Projekt einen neuen Schwerpunkt setzen. Der Projektleiter untersucht den Zusammenhang von Hand-schrift und Hand-werk (poiésis und techné), vorwiegend an Handgebärden in weltlichen und religiösen Text- und Bildzeugnissen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Im Fokus unserer Aufmerksamkeit stehen nun die Handlungen/Handhabungen, die in Text und Bild sichtbar gemacht werden, wobei die Distribution des Wortes und ihre technische Visualisierung (unter Verwendung von Bild, Schrift und Zahl) unser eigentliches Thema sein soll. Das Teilprojekt zielt mit seinen beiden Unterprojekten (UP I: »Manueller Zugriff und technisches Zeigen in illustrierten Flugblättern«, Jörn Münkner; UP II: »Geistliche und weltliche Handhabung der Zahl: Sprechen - Schreiben - Rechnen«, Moritz Wedell) auf Bausteine für eine Geschichte der Kulturtechniken des 'Lesens und Zählens und Zeigens'.


»Stoicheia«
Bild, Schrift und Zahl in der Tradition der »Elemente« des Euklid

Jochen Brüning

Das Spannungsverhältnis von Bild, Schrift und Zahl ist offensichtlich von erheblicher Bedeutung für die Kulturgeschichte, auch wenn eine genaue Begriffsbestimmung ebenso schwierig erscheint wie die
Formulierung allgemeiner Gesetze des Zusammenwirkens. Ein aussichtsreiches Untersuchungsfeld muß daher hinreichend klar begrenzt sein und eine hinreichend lange und bedeutsame Entwicklung aufweisen, in der alle drei betrachteten Medien eine wichtige Rolle gespielt haben.

Diese Kriterien werden in besonderem Maße erfüllt von den »Elementen« des Euklid und ihrer Wirkungsgeschichte. Es ist klar, daß nach Alter und Verbreitung diesem Text nur wenige an die Seite gestellt werden können, seine technische Natur wiederum grenzt das Wirkungsfeld deutlich ab, mindestens auf den ersten Blick. Der Inhalt konstituiert sich zunächst aus Schrift und Zahl, die beide mit demselben Zeichensatz angeschrieben werden. Das Bild tritt hinzu als unabdingbare Stütze der abstrakten Überlegungen, wird aber von Anfang an und ganz programmatisch auch aus »Elementen« konstituiert, wie »Punkt«, »Gerade«, »Dreieck« usw. Bild, Schrift und Zahl sind also gleichermaßen wesentlich zur Konstitution und Vermittlung des Inhalts, ihre Rolle im Einzelnen unterliegt aber vielfältigen Veränderungen im Laufe der Zeit. Als besonderes Indiz dieser Wechselwirkung können die von den
jeweiligen Bearbeitern in großer Zahl eingeführten »Beweiszeichen« gedeutet werden, denen bisher kaum Aufmerksamkeit geschenkt wurde.

Zur Analyse dieses kulturgeschichtlichen Prozesses erweist es sich als sehr hilfreich, dass das Korpus der »Elemente« im Verlaufe seiner mehr als zweitausendjährigen Geschichte eine hohe Stabilität aufweist, so
dass Unterschiede in der Bewertung und Gestaltung recht leicht auszumachen sind. Das hier beantragte Projekt stellt sich die Aufgabe, den spezifischen Wechselwirkungen von Bild, Schrift und Zahl in
Präsentation, Rezeption und Wirkung der Euklidischen »Elemente« nachzugehen. Im Vordergrund des Interesses steht die Frage, inwieweit die nachweisbaren Phänomene charakteristisch sind für die Entwicklung der Mathematik im ganzen, da in diesem Feld naturgemäß die direktesten Wirkungen zu erwarten sind. Davon ausgehend wird sich der Blick öffnen können auf kulturgeschichtliche Entwicklungen von allgemeinerem Charakter.


Zur Verschränkung von Bild, Schrift und Zahl im Kalender

Thomas Macho

Das Ziel des Teilprojekts besteht in der exemplarischen Erforschung und Darstellung einer Kulturgeschichte des Kalenders unter dem Gesichtspunkt der Integration von Bild, Schrift und Zahl. Ein erster Schwerpunkt der Projektarbeit soll dem Zusammenhang zwischen Astronomie und Geometrie (in der griechischen Antike), sowie den kalenderpolitischen Aktivitäten im Imperium Romanum (vorrangig nach der Julianischen Kalenderreform) gelten. Ein weiterer Schwerpunkt wird auf den Übergang von der spätmittelalterlichen Computistik zur astronomischen Bildersprache der Renaissance gelegt, ein dritter
Schwerpunkt auf die gegenwärtig primär mit der »Y2K«-Diskussion assoziierte Problematik alternativer, künftiger Kalendersysteme. Insgesamt wird angestrebt, die wissenschafts- und kulturgeschichtlichen
Impulse der Kalenderrechnung an ausgewählten Beispielen aus Vergangenheit und Gegenwart zu dokumentieren.


Die Lesbarkeit der Welt
Bild, Schrift und Zahl im Spannungsfeld von Körpergedächtnis und Schriftgedächtnis

Horst Wenzel

In mittelalterlichen Handschriften und in frühneuzeitlichen Drucken finden sich vielfältige Kombinationen von Wort, Bild und Zahl, die auf die Hand Gottes zurückverweisen, aber auch die entwickelten (Mnemo-) Techniken der Scriptoralität einsichtig machen: den Zusammenhang von
`zählen' und `erzählen', die indexikalische Vermittlung von Text und Bild. Das geplante Projekt will versuchen, Hand und Zahl als Operatoren der Gedächtnistechnik darzustellen, die `verborgene' Zahl in Text und Bild zu untersuchen und die numerische Verknüpfung von Text und Bild als eine Vorform technologisch vermittelter Audiovisualität einsichtig zu machen.


Repräsentationsprobleme unter Ludwig XIV
Andre Felbien versus Thomas Hobbes

Horst Bredekamp

Der bis zur Französischen Revolution zumeist in personalisierter Form dargestellte Souverän ist durch die Politische Ikonographie in zahlreichen motivischen Facetten und medialen Erscheinungsweisen
untersucht worden. Die Grundlagen der Funktionsweisen und der ikonographischen Muster gelten als weitgehend erforscht, ohne daß jedoch die Mathematik in diesem Zusammenhang thematisiert worden wäre. In dem exemplarisch angelegten Projekt soll der Frage nach ihrer Rolle für die Repräsentation des Souveräns nachgegangen werden.

Das Projekt bezieht sich auf die Begründung der modernen Staatstheorie durch Thomas Hobbes (1651) und die folgenden beiden Jahrzehnte einer kontroversen Debatte über die Darstellung des Souveräns. Im Zentrum steht der Konflikt zwischen einer mathematisch begründeten Staatslehre, wie sie Hobbes mit seinem »Leviathan« verfolgte, und einem metaphysisch fundierten Souveränitätsbild, wie es André Felibien, der Kunst- und Kulturdirigent Ludwigs XIV., in seinem »Portrait du Roy« propagierte (1663).


Die Trigonometrie von Bild und Klang 

Friedrich Kittler

Im Projektzusammenhang bildet eine Fragestellung, die neben Bildern und ihrer Verzifferung auch Klänge und deren Verzifferung einbezieht, eine Ausnahme, weil Klang im Gegensatz zu Bild, Schrift und Zahl nicht als Medium der Wissenschaft fungiert hat. Zwei Gründe sprechen jedoch dafür, die Technikgeschichten von linearer Perspektive und temperierter musikalischer Frequenz strikt parallel zu führen. Erstens geht ihr Unterschied unter Computerbedingungen in der technischen Allgemeinheit
digitaler Signalverarbeitung auf, zweitens hat die neuzeitliche Mathematik optische Erscheinungen mit derselben Trigonometrie formalisiert wie musikalische Schwingungen. Im Teilprojekt geht es um genau diesen Zusammenhang zwischen einer grundlegenden Mathematisierung, welche die Künste der europäischen Neuzeit gegenüber anderen Kulturen ausdifferenziert hat, und einer modernen Technisierung, die diese Künste zunächst in analoge und schließlich in digitale Medien überführen konnte. Daraus folgt abschliessend eine Hypothese über die Hintergründe jener fundamentalen Trennung, die seit Kant eine philosophische Ästhetik der Sprachauslegung einer physikalischen Ästhetik der Messung entgegenstellt, eine Hypothese also, die e contrario zum Brückenschlag zwischen Mathematik, Informatik und Kulturwissenschaft beitragen könnte.


»Schriftbildlichkeit« 
Über die Visualität von Texten als kulturtechnisches und lektüretheoretisches Potential

Sybille Krämer

Es ist ein Gemeinplatz in den Geisteswissenschaften, daß unser Umgang mit Symbolen den Gleisen einer Bifurkation von Sprache und Bild folgt. Gemäß dieser Gabelung zwischen dem Diskursiven und dem Ikonischen gilt die Schrift als Sprache und nicht als Bild. Ziel dieses grundlagentheoretischen Arbeitsvorhabens ist es, diese sprachzentrierte Konzeption der Schrift zu revidieren, also die Schriftreflexion zu lösen von der Prägung durch ihre Herkunft aus der `Mündlichkeits-/Schriftlichkeitsdebatte'. Das soll geschehen (1) durch die Rehabilitierung einer fundamentalen visuell-ikonischen Dimension, der `Schriftbildlichkeit', von der die Darstellungspotentiale der Schrift und des Textes jeweils Gebrauch machen. Was diese Potentiale bedeuten, zeigt sich, wenn die Schrift in ihrer Funktion, als eine Kulturtechnik zu dienen, in den Blick genommen wird. Es ist insbesondere die Kulturtechnik des Lesens, in der die kognitive und kommunikative Rolle der Schriftbildlichkeit zutage tritt. Die visuell zugängliche Oberfläche von Texten, die Textur, kann als Partitur der Leseperformanz verstanden werden. Daher ist (2) zu untersuchen, wie sich im Verhältnis von klassischem Text zum elektronischen Hypertext die Bedingungen der Schriftbildlichkeit verändern.


Visuelle Argumentationen. Erzeugung und Logik wissenschaftlich-technischer Grafiken und Bilder unter digitalen Produktionsbedingungen 

Wolfgang Coy

Untersucht werden Bilder (im Gegensatz zu Texten) als Mittel technisch-wissenschaftlicher Kommunikation. Insbesondere sollen Logik und Argumentationskraft bildlicher, also grafischer, schematischer, aber auch sensorerzeugter und berechneter Bilder in technischen und naturwissenschaftlichen Fächern erforscht werden. Ausgehend von den historischen grafischen und bildlichen Darstellungstechniken (vor allem an Hand der Bilder der Diderotschen Enzyklopädie) sollen technische Bilder, von Grafiken über analoge (autografische) Bildgebungsverfahren bis zu rechnergestützten, digitalen Bildgebungsverfahren als wesentliche Argumentationshilfen der modernen Technik- und Naturwissenschaften im Vergleich zu textbasierten Logiken verstanden und analysiert werden. Durch den Einsatz programmierter Verfahren bei der Auswertung komplexer Sensordaten entstehen neue Argumentationsweisen (in Medizin, Naturwissenschaften, Technik), die sowohl die Verschriftlichung der Logik in den Wissenschaften wie ihre Präzisierung als Formale Logik in Mathematik, Naturwissenschaft und Technik herausfordern bis hin zu Sir Karl Poppers »Logik der Sozialwissenschaften« und zur Wissenschaftstheorie. Dies soll ausgehend von neuen bildgenerierenden Entwicklungen der Informatik disziplinübergreifend dargestellt und analysiert werden.


Die Digitalisierung von Bild, Schrift, Zahl und Ton. Konzeptualisierung und kultureller Kontext

Bernd Mahr

Bild, Schrift, Zahl und Ton sind Medien unserer alltäglichen Kommunikation und Aneignung. Ihr konventionalisierter Gebrauch ist Bestandteil unserer Kultur und Wissenschaft. Mit ihrer Digitalisierung
und maschinellen Verarbeitung in der Informationstechnik und Telekommunikation erfahren Bild, Schrift, Zahl und Ton eine Reduktion auf das symbolisch Repräsentierbare und das effektiv Ausführbare. Diese
Reduktion beinhaltet ihre Konzeptualisierung, die im wesentlichen zwei Einflüssen unterliegt: Einer gewissen Auffassung von dem, was sie sind, und einer gewissen Auffassung von dem, was sie im Handlungszusammenhang ihrer digitalisierten Form sein sollen. Digitalisierung steht dadurch
in einem kuturellen Kontext, der einerseits die Konzeptualisierung mitbestimmt und der andererseits selbst durch die Konzeptualisierung mitgeprägt wird. Aussagen über den kulturellen Kontext der Digitalisierung haben daher einen imprädikativen Charakter.

Ziel des Projekts ist es, mit einem Referenzmodell den Begriffsrahmen für die der Digitalisierung innewohnenden Konzeptualisierungen von Bild, Schrift, Zahl und Ton zu formulieren. Von der Entwicklung dieses Modells werden erwartet: Einsichten in die kulturelle Verflechtung der Digitalisierung, eine Auslotung des Verlustes und des Gewinns, der durch die Digitalisierung entsteht, Aussagen über die Zusammenhänge von Bild, Schrift, Zahl und Ton sowie ein Beitrag zu der in den Kulturwissenschaften geführten Theorie-Diskussion. Vom Modell selbst wird erwartet, daß es als Heuristik für die informationstechnische Dokumentation von Sammlungen praktisch eingesetzt werden kann.