2004 - 2007
- Repräsentation als Kulturtechnik (Bredekamp, Schneider)
- Die Alphabetisierung der Mathematik (Brüning, Meynen)
- Zeigen und Verweisen (Brüning, Meynen)
- Kulturtechniken: Ordnungsinstrumente (Cancik-Kirschbaum)
- Bild, Schrift, Zahl in der Turing-Galaxis (Coy, Grassmuck)
- Musik und Mathematik (Kittler, v. Hilgers, Ofak)
- Von der Schrift zur Spur (Krämer, Grube, Kogge)
- Kulturtechniken der Synchronisation (Macho, Hörl, Dennhardt)
- Aufklärung des Modellbegriffs (Mahr, Wendler, Gulden)
- Die Lesbarkeit der Welt (Wenzel, Münkner, Wedell)
2001 - 2004
- »Stoicheia« (Brüning)
- Zur Verschränkung von Bild, Schrift und Zahl im Kalender (Macho)
- Die Lesbarkeit der Welt (Wenzel)
- Repräsentationsprobleme unter Ludwig XIV (Bredekamp)
- Die Trigonometrie von Bild und Klang (Kittler)
- »Schriftbildlichkeit« (Krämer)
- Visuelle Argumentationen (Coy)
- Die Digitalisierung von Bild, Schrift, Zahl und Ton (Mahr)
Repräsentation als Kulturtechnik. Analyse der historischen Repräsentationsformung unter der Prämisse des Bildes
Horst Bredekamp, Pablo Schneider
Repräsentation ist trotz aller historischen Veränderungen ihrer Formen und ihrer theoretischen Begründungen ein markanter Bestandteil des kommunikativen Gefüges und dessen Hierarchisierung geblieben. Die Aufklärung konnte den Begriff zwar einer kritischen Betrachtung unterziehen, aber auch sie hat ihn nicht grundlegend in Frage gestellt, und dasselbe gilt für Versuche des zwanzigsten Jahrhundert, ihn durch linguistisch und diskurstheoretisch bestimmte Theorien gleichsam zu unterlaufen oder auch zu diskreditieren. Die immer noch von einem negativen Grundverständnis ausgehende Deutung als einer Überzeugungsstrategie hat die Analyse des Begriffs nicht befördert. Das Projekt versucht einen anderen Weg zu beschreiten, indem es Repräsentation auf ihre Funktion als eine bildtheoretisch definierte Kulturtechnik fokussiert, bei der die konstruktiven Möglichkeiten im Zentrum stehen sollen, um das Bild in seinem produktiven Dualismus deuten zu können. Denn es war sowohl Trägermedium, als auch Denkanleitung, die es ermöglichte, die Repräsentation zu strukturieren und in der Ausgestaltung einer Kulturtechnik zu etablieren.
In ihrem Wechselspiel von höchst variablen Repräsentationsformen und einer entsprechend kontroversen und grundsätzlich geführten Diskussionen bietet die Frühe Neuzeit ein unausgeschöpftes Reservoir. Insbesondere die Diskrepanz zwischen den "Mysterien" eines souveränen Herrschaftssystems und Erkenntnissen der Naturwissenschaften konnte im Bild ausgedrückt und stabilisiert werden. Besonders seine ikonischen Qualitäten, die im produktiven Dilemma der annähernden aber nie zu vollendenden Beschreibung begründet liegen, bergen einen grundlegenden Aspekt der Repräsentation in sich, der für die Geschichte der Kunst noch zu deuten ist.
Die Alphabetisierung der Mathematik. Elemente einer Kulturgeschichte des Diagramms
Jochen Brüning, Gloria Meynen
Die Entstehung der deduktiven Mathematik verdankt sich im Wesentlichen einer kulturtechnischen Innovation, einer Kombination aus Buchstaben und Linien, dem beschrifteten Diagramm. Seit der Mitte des 5. Jahrhunderts ermöglicht es das beschriftete Diagramm, Zahlen, Buchstaben und Bilder ineinander zu überführen. Es ermöglicht eine Technik des Zeigens und Verweisens, die in den Elementen des Euklid vorläufig eine beispiellose Formalisierung erreicht. Das Projekt fragt deshalb am Beispiel der Euklidischen Elemente nach den medialen Bedingungen der deduktiven Mathematik. Der Schwerpunkt liegt auf der Verweistechnik der Euklidischen Diagramme und den implizierten Beziehungen zwischen Bild, Schrift und Zahl. Im Zentrum stehen die Techniken des Beweisens. Deshalb interessieren besonders zwei Aspekte:
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Ein erster Blick gilt den Schreib- und Bildflächen der Geometrie. Mit der Frage nach der Materialität mathematischer Beweise gilt er einem Aspekt, den die Euklidischen Elemente vollständig ausblenden.
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Da wir davon ausgehen, dass die Materialität der Bildflächen die Operationen des Diagramms maßgeblich bestimmt, fällt ein zweiter Blick von den Medien auf die Werkzeuge des Diagramms: nämlich auf Linien und Buchstaben.
Das Diagramm vereint Elemente der Arithmetik und Geometrie. Es ist das Produkt mannigfaltiger Übersetzungsprozesse zwischen der Astronomie der Ägypter, den geometrischen Reiss- und Aufschnürungsverfahren des ionischen Tempelbaus und der Musiktheorie der Pythagoreer. Die Aufmerksamkeit des Projektes liegt auf den Überträgen zwischen Geometrie und Arithmetik mit der Überzeugung, dass die neue Kulturtechnik des beschrifteten Diagramms an kulturellen und technologischen Bruchstellen entsteht.
Zeigen und Verweisen. Das Diagramm als Kulturtechnik
Jochen Brüning, Gloria Meynen
Projekt gefördert von der Fritz Thyssen Stiftung
Die Entstehung der deduktiven Mathematik verdankt sich im Wesentlichen einer kulturtechnischen Innovation, einer Kombination aus Buchstaben und Linien – dem beschrifteten Diagramm. Der früheste Gebrauch des beschrifteten Diagramms findet sich um 440 v. Chr. in den Möndchenquadraturen des Hippokrates v. Chios. Seit der Mitte des 5. Jahrhunderts ermöglicht es das beschriftete Diagramm, Zahlen, Buchstaben und Linien ineinander zu überführen, Visualität durch den Rückgriff auf Buchstaben bildlos zu erzeugen. Diese neue Form der Visualität, die nicht mehr allein auf Anschauung und Anzahlenkunde gründet, ermöglicht eine Technik des Zeigens und Verweisens, die eng mit den ersten mathematischen Lehrbüchern, dem Format der Elementbücher (stoicheia) verknüpft ist.
Der Gegenstand des Projektes ist die visuelle Produktion von Abstraktion und Idealität. Anhand einer Kulturgeschichte mathematischer Beweisverfahren soll untersucht werden, wie deduktive Wahrheit auf den Bildflächen der Geometrie erzeugt wird. Der Fokus des Projektes liegt deshalb auf dem Verhältnis von Visualität und Bildlosigkeit und auf der Frage, wie Evidenz und Wahrheit in den deduktiven Beweisen so sichtbar zu einer Funktion des Bildes werden konnten.
Kulturtechniken: Ordnungsinstrumente. Untersuchungen zur altorientalischen Überlieferung
Eva Cancik-Kirschbaum
Die altorientalische Überlieferung dokumentiert über einen Zeitraum von mehreren Jahrtausenden in großer Vielfalt Formen, Entwicklungen und Funktionsweisen jener Kulturtechniken, durch die sich Phänomene wie Bild", Schrift" und Zahl" konstituieren. Der kulturgeschichtliche Erfolg dieser Medien' beruht nicht zuletzt auf ihrem hohen Ordnungspotential und ihrer fast unbegrenzten Kompatibilität. In drei Fallstudien zur keilschriftlichen Überlieferung des Alten Orients soll die produktive Verschränkung dieser Kulturtechniken in verschiedenen historischen Kontexten näher untersucht werden. Die drei Themenkomplexe vermitteln einen Eindruck von der Breite des altorientalischen Materials. Zugleich tragen sie der Vielfalt der Zugangs-möglich-keiten Rechnung, die durch die Einbindung des Projektes in die Forschergruppe Bild - Schrift - Zahl" am Helmholtz-Zentrum ermöglicht wird. Die altorientalischen Funde und Befunde - überwiegend im Stadium der Ersterschließung und somit schwer zugänglich - profitieren von den hier im interdisziplinären Dialog entwickelten Fragestellungen und Thesen. Als historische Exempla für Erfolg, Irrtum und Aporie, Tradition, Neuerung und Entwicklung auf den Gebieten des Zählens, Abbildens, Schreibens und Messens erweitern sie die Materialbasis für die Forschungen im Rahmen von BSZ.
Bild, Schrift, Zahl in der Turing-Galaxis. Die technischen und soziokulturellen Hintergründe geistigen Eigentums unter den Bedingungen multimedialer Digitalisierung und globaler Vernetzung
Wolfgang Coy, Volker Grassmuck
Derzeit ist ein heftiger Umbruch im Umgang mit geistigem Eigentum zu vermerken. Das deutsche Urheberrecht wurde auf Grund internationaler Vorgaben an digitale Techniken an-gepasst. Patentrecht wird im EU-Parlament kontrovers diskutiert und steht vor einer wesentli-chen Erweiterung. Nicht nur Medienunternehmen formulieren weit gehende ökonomische Ansprüche, auch Wissenschaft und Öffentlichkeit besitzen gewachsene kulturelle Interessen an Zugang und Nutzung von Wissen. Auslöser solch heftiger Debatten sind Digitalisierung und Vernetzung und damit einhergehende technische Veränderungen bei Herstellung, Speicherung und Distribution multimedialer Artefakte. In der Folge befindet sich die gewachsene Wissensordnung in einem Strukturwandel, der kulturelle Praktiken, ökonomische Beziehungen, technologische Trajektorien, ebenso wie seinen politischen Regulierungsrahmen grundlegend verändert. Dies betrifft sogar Basisbegriffe wie Autor, Werk und Wissen. Es ist somit geboten, neben den rechtlichen und ökonomischen Bedingungen des digitalisierten" geistigen Eigentums auch dessen technische Basis und seine kulturelle Tradition zu betrachten.
Im Zentrum des Projektes steht die Frage nach Ausgleich unterschiedlicher Ansprüche: der persönlichkeits- und vermögensrechtlichen Interessen von Autoren und Erfindern, der Ver-wertungsinteressen von Verlegern und anderen Parteien sowie der Interessen der Allgemein-heit. An Hand konkreter Fragestellungen wird das Feld Bild-Schrift-Zahl" in seinen kultur-technischen Verzahnungen beleuchtet, um die aktuellen Debatten um geistiges Eigentum aus der juristisch-ökonomischen Engführung herauszulösen und eine offenere Diskussion auf dem Weg zur Turing-Galaxis anzuregen.
Musik und Mathematik
Friedrich Kittler, Philip v. Hilgers, Ana Ofak
Ziel der Forschergruppe "Bild Schrift Zahl" war und ist es, die drei elementaren Kulturtechniken des Zeigens, Schreibens und Rechnens in ihren historischen Kombinationen und Transformationen zu erforschen und auf diesem Weg zu einer Kulturgeschichte von unten zu kommen.
Daher ist es - ganz wie im Teilprojekt Brüning - von der Sache her geboten, sich der Grundlegung der europäischen Wissenschaften bei den Griechen zu versichern. Es waren Pythagoras von Samos und seine Schüler in Unteritalien, die mit den Grundbegriffen der Musiktheorie (Harmonie, Oktave, Intervall) die Mathematik als eine Wissenschaft allgemeiner Gesetze geschaffen haben. Das Begriffspaar Gerade/Ungerade machte es möglich, Konsonanz als solche, d. h. ohne Angabe konkreter Zahlen zu denken. Eben damit entstand die Form der Wissenschaft als kulturtechnischer Gemeinschaftspraxis, wie Schulen, Akademien, Universitäten sie bis heute weiterführen.
Der Ausgang von elementaren Kulturtechniken verspricht neue zusammenführende Ergebnisse, weil er Bild, Schrift, Zahl in ihren Wechselwirkungen erkennbar macht. Die griechische Schrift selber, dies erste und einzige Vokalalphabet der Geschichte, scheint einer neuen These zufolge (Powell, 1991) der Grund zu sein, weshalb Gesang und Musik zur Sache eines Schreibens und eines Rechnens werden konnten. Beide setzten dieselbe Kulturtechnik ein, weil griechische Ziffern eine Obermenge des Alphabets waren.
Umgekehrt entstand die Geometrie als von der Arithmetik getrenntes wissenschaftliches Bild der Dinge aus einer fundamentalen Entdeckung der Pythagoreer, da nämlich nicht alle Intervalle bzw. geometrischen Strecken rational sind. Wenn aber Arithmetik und Geometrie in dieser ihrer Komplementarität alles, "was" überhaupt "ist", im Wesen zu fassen vermögen, schießen Bild, Schrift, Zahl - soweit ich sehen kann, zum erstenmal - zu einer Ontologie zusammen.
Von der Schrift zur Spur
Das Spurenlesen als Kulturtechnik im Spannungsfeld von Medientheorie, Genforschung und Computertechnik
Sybille Krämer, Gernot Grube, Werner Kogge
Über Jahrzehnte war die kulturtheoretische Diskussion geprägt von einer Identifizierung von Kultur mit Text bzw. Sprachlichkeit. Die Forschergruppe Bild, Schrift, Zahl' entfaltete eine Alternative zu diesem textfundierten Kulturverständnis, indem sie historisch variable Techniken im Umgang mit nicht-sprachlichen Symbolsystemen (Bild, Schrift, Ziffern) als Kulturtechniken und zugleich wissenserzeugende und -transformierende Leistungen rekonstruiert. Ziel dieses neuen Projektes ist die begriffliche Klärung und theoretische Fundierung der Protoform einer Kulturtechnik: Es geht um die Spur und das Spurenlesen. Drei Akzentverschiebungen gegenüber dem vergangenen Förderungszeitraum sind mit dem Übergang vom 'Schriftprojekt' (2001-2003) zum 'Spurprojekt' (2004-2006) verbunden:
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Das Lesen geht - bei der Spur - dem Schreiben voraus und rückt somit ins Zentrum des Spurkonzeptes. Anders als bei der Schrift, akzentuiert die Idee der Spur die pragmatische Dimension des Lesens, da erst das Spurenlesen eine Markierung überhaupt zur Spur werden lässt.
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Zugleich überschreitet das Spurenlesen die Domäne der menschlichen Kultur - dies ebenfalls im Unterschied zur Schrift - und ist auch für biologische, insbes. für genetische Abläufe signifikant. Ist hier eine Brücke zwischen Kulturtechniken und biologischen Prozessen gefunden, eine Brücke, die nicht alleine vom Unterschied zwischen buchstäblicher und metaphorischer Bedeutung zehrt, sondern aufschlussreiche Analogien zwischen kulturellen und biologisch-zellulären Szenarien hervortreten lässt?
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Der Computer ist nicht bloß eine Schrift- und Zeichentransformationsmaschine, sondern - und das wird epistemologisch immer wichtiger - eine Visualisierungsmaschine. Zu dem, was er ins Bild setzt' gehören auch die Spuren dessen, was unserer Wahrnehmung prinzipiell entzogen ist (z.B. Nanotechnologie). Im Zuge dieses Spuren(vor)lesens durch den Computer, werden epistemische Dinge', also Wissensobjekte, nicht alleine veranschaulicht, vielmehr zugleich auch hervorgebracht.
Das Projekt zielt darauf ab, durch begriffliche Explikation von verschiedenartigen Prozessen des Spurenlesens die Kulturtechnik des Lesens auf eine Weise zu spezifizieren, die die Gleichsetzung von Lesen mit Textlesen' lockert und nicht-hermeneutische Dimensionen des Lesens (Etymologie: lesen' als sammeln', auflesen') Profil gewinnen lässt.
Kulturtechniken der Synchronisation
Thomas Macho, Erich Hörl, Robert Dennhardt
Das Projekt bezweckt eine exemplarische Untersuchung der Verschränkungen und Wechselwirkungen von Bild, Schrift und Zahl in den Kulturtechniken der Synchronisation. Dabei sollen besonders auch historische Gewichtsverschiebungen und Interferenzen zwischen den Techniken der Zeitrechnung und der Zeitmessung analysiert werden. Im Erstantrag stand der Kalender - als spezifische Kulturtechnik der Synchronisation - im Zentrum. Nun sollen auch die - seit der Gregorianischen Reform von 1582 - zunehmend auftretenden Perspektiven und Problemhorizonte zeitlicher Synchronisation in der Moderne genauer beleuchtet werden.
Um das Spektrum der Verschiebungen und Interferenzen zwischen Zeitrechnung und Zeitmessung in den Techniken der Synchronisation präzise erfassen zu können, werden drei zentrale, epochentypische Beispiele der Synchronisation herausgegriffen und - insbesondere hinsichtlich ihrer Visualisierungsstrategien in Bildern, Texten und mathematischen Operationen - untersucht: erstens die Kulturtechniken der Synchronisation von Lunar- und Solarzyklen in den alten Hochkulturen, unter vorrangigem Bezug auf die Durchsetzung verbindlicher Sonnenkalendersysteme (Stichwort: »Solarisierung«), zweitens die Kulturtechniken der Synchronisation zyklischer und linearer Systeme der Zeitrechnung, also die gesamte Problematik der Großperiodenrechnung in Kalendersystemen von der Spätantike bis zur frühen Neuzeit (Stichwort: »Großes Jahr«), sowie drittens die Kulturtechniken der Synchronisation in der Moderne, wobei hier ein Schwerpunkt gelegt wird auf die apparativen Techniken der Synchronisation von Prozessen und Aufzeichnungen dieser Prozesse, von der Bildtelegraphie bis zur Taktung von Computern (Stichwort: »Selbstschreiber«).
Aufklärung des Modellbegriffs
Bernd Mahr, Reinhard Wendler, Jens Gulden
Das Projekt will die in Vorarbeiten entwickelte Hypothese eines einheitlichen Konzeptes des Modellseins verfolgen und dadurch zur Aufklärung des Modellbegriffs beitragen. Im Verbund dreier Teilprojekte sollen (1) mit einer konzeptuellen Analyse und Klassifikation der Sachverhalte, die das Modellsein konstituieren, Grundlagen einer allgemeinen Modelltheorie entwickelt, (2) in kunsthistorischen und bildtheoretischen Untersuchungen zu hierarchischen Strukturen das Phänomen der Umbildung und Fassbarmachung durch Modelle studiert, und (3) mit dem Studium diagrammatischer Repräsentationsformen Bedingungen und Techniken einer formalen Disziplin und Heuristik des Modellierens ermittelt werden. Abgestimmt mit diesen Arbeiten und auf das Studium ausgewählter historischer und aktueller Beispiele gestützt, sollen Formen der Entwicklung und Nutzung von Modellen in prototypischen pragmatischen Kontexten gefunden werden, und es soll die Frage erforscht werden, ob Modelle als fundamentale Kulturtechnik der Abstraktion und Übertragung aufzufassen sind. Durch die Geschichte des Modellbegriffs nahe gelegt, werden bei der Projektarbeit Ordnungen und Gitter im Vordergrund stehen, die in der Form von Aufteilungen, Anordnungen, Hierarchien, Leitern, Bäumen, Rastern, Matrizen, Triangulierungen und mehrdimensionalen Gittern die Architektur vieler Modelle bilden.
Die Lesbarkeit der Welt
Hand und Wort - Hand und Technik
Horst Wenzel, Jörn Münkner, Moritz Wedell
Im ersten Bewilligungszeitraum ist es gelungen, die Repräsentation der Hand in medialen Umbrüchen darzustellen, die Transformation des konzeptuellen und semantischen Verhältnisses von zählen und erzählen zu untersuchen und die Verknüpfung von Hand, Text, Bild und Zahl als eine Vorform technologisch vermittelter Audiovisualität einsichtig zu machen. In der zweiten Antragsphase will das Projekt einen neuen Schwerpunkt setzen. Der Projektleiter untersucht den Zusammenhang von Hand-schrift und Hand-werk (poiésis und techné), vorwiegend an Handgebärden in weltlichen und religiösen Text- und Bildzeugnissen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Im Fokus unserer Aufmerksamkeit stehen nun die Handlungen/Hand-habun-gen, die in Text und Bild sichtbar gemacht werden, wobei die Distribution des Wortes und ihre technische Visualisierung (unter Verwendung von Bild, Schrift und Zahl) unser eigentliches Thema sein soll. Das Teilprojekt zielt mit seinen beiden Unterprojekten (UP I: "Manueller Zugriff und technisches Zeigen in illustrierten Flugblättern", Jörn Münkner; UP II: "Geistliche und weltliche Handhabung der Zahl: Sprechen - Schreiben - Rechnen", Moritz Wedell) auf Bausteine für eine Geschichte der Kulturtechniken des 'Lesens und Zählens und Zeigens'.
»Stoicheia«
Bild, Schrift und Zahl in der Tradition der »Elemente« des Euklid
Jochen Brüning
Das Spannungsverhältnis von Bild, Schrift und Zahl ist offensichtlich
von erheblicher Bedeutung für die Kulturgeschichte, auch wenn eine
genaue Begriffsbestimmung ebenso schwierig erscheint wie die
Formulierung allgemeiner Gesetze des Zusammenwirkens. Ein
aussichtsreiches Untersuchungsfeld muß daher hinreichend klar begrenzt
sein und eine hinreichend lange und bedeutsame Entwicklung aufweisen,
in der alle drei betrachteten Medien eine wichtige Rolle gespielt haben.
Diese Kriterien werden in besonderem Maße erfüllt von den »Elementen«
des Euklid und ihrer Wirkungsgeschichte. Es ist klar, daß nach Alter
und Verbreitung diesem Text nur wenige an die Seite gestellt werden
können, seine technische Natur wiederum grenzt das Wirkungsfeld
deutlich ab, mindestens auf den ersten Blick. Der Inhalt konstituiert
sich zunächst aus Schrift und Zahl, die beide mit demselben Zeichensatz
angeschrieben werden. Das Bild tritt hinzu als unabdingbare Stütze der
abstrakten Überlegungen, wird aber von Anfang an und ganz
programmatisch auch aus »Elementen« konstituiert, wie »Punkt«,
»Gerade«, »Dreieck« usw. Bild, Schrift und Zahl sind also gleichermaßen
wesentlich zur Konstitution und Vermittlung des Inhalts, ihre Rolle im
Einzelnen unterliegt aber vielfältigen Veränderungen im Laufe der Zeit.
Als besonderes Indiz dieser Wechselwirkung können die von den
jeweiligen Bearbeitern in großer Zahl eingeführten »Beweiszeichen«
gedeutet werden, denen bisher kaum Aufmerksamkeit geschenkt wurde.
Zur Analyse dieses kulturgeschichtlichen Prozesses erweist es sich als
sehr hilfreich, daß das Korpus der »Elemente« im Verlaufe seiner mehr
als zweitausendjährigen Geschichte eine hohe Stabilität aufweist, so
daß Unterschiede in der Bewertung und Gestaltung recht leicht
auszumachen sind. Das hier beantragte Projekt stellt sich die Aufgabe,
den spezifischen Wechselwirkungen von Bild, Schrift und Zahl in
Präsentation, Rezeption und Wirkung der Euklidischen »Elemente«
nachzugehen. Im Vordergrund des Interesses steht die Frage, inwieweit
die nachweisbaren Phänomene charakteristisch sind für die Entwicklung
der Mathematik im ganzen, da in diesem Feld naturgemäß die direktesten
Wirkungen zu erwarten sind. Davon ausgehend wird sich der Blick öffnen
können auf kulturgeschichtliche Entwicklungen von allgemeinerem
Charakter.
Zur Verschränkung von Bild, Schrift und Zahl im Kalender
Thomas Macho
Das Ziel des Teilprojekts besteht in der exemplarischen Erforschung und
Darstellung einer Kulturgeschichte des Kalenders unter dem
Gesichtspunkt der Integration von Bild, Schrift und Zahl. Ein erster
Schwerpunkt der Projektarbeit soll dem Zusammenhang zwischen Astronomie
und Geometrie (in der griechischen Antike), sowie den
kalenderpolitischen Aktivitäten im Imperium Romanum (vorrangig nach der
Julianischen Kalenderreform) gelten. Ein weiterer Schwerpunkt wird auf
den Übergang von der spätmittelalterlichen Computistik zur
astronomischen Bildersprache der Renaissance gelegt, ein dritter
Schwerpunkt auf die gegenwärtig primär mit der »Y2K«-Diskussion
assoziierte Problematik alternativer, künftiger Kalendersysteme.
Insgesamt wird angestrebt, die wissenschafts- und kulturgeschichtlichen
Impulse der Kalenderrechnung an ausgewählten Beispielen aus
Vergangenheit und Gegenwart zu dokumentieren.
Die Lesbarkeit der Welt
Bild, Schrift und Zahl im Spannungsfeld von Körpergedächtnis und Schriftgedächtnis
Horst Wenzel
In mittelalterlichen Handschriften und in frühneuzeitlichen Drucken
finden sich vielfältige Kombinationen von Wort, Bild und Zahl, die auf
die Hand Gottes zurückverweisen, aber auch die entwickelten (Mnemo-)
Techniken der Scriptoralität einsichtig machen: den Zusammenhang von
`zählen' und `erzählen', die indexikalische Vermittlung von Text und
Bild. Das geplante Projekt will versuchen, Hand und Zahl als Operatoren
der Gedächtnistechnik darzustellen, die `verborgene' Zahl in Text und
Bild zu untersuchen und die numerische Verknüpfung von Text und Bild
als eine Vorform technologisch vermittelter Audiovisualität einsichtig
zu machen.
Repräsentationsprobleme unter Ludwig XIV
Andre Felbien versus Thomas Hobbes
Horst Bredekamp
Der bis zur Französischen Revolution zumeist in personalisierter Form
dargestellte Souverän ist durch die Politische Ikonographie in
zahlreichen motivischen Facetten und medialen Erscheinungsweisen
untersucht worden. Die Grundlagen der Funktionsweisen und der
ikonographischen Muster gelten als weitgehend erforscht, ohne daß
jedoch die Mathematik in diesem Zusammenhang thematisiert worden wäre.
In dem exemplarisch angelegten Projekt soll der Frage nach ihrer Rolle
für die Repräsentation des Souveräns nachgegangen werden.
Das Projekt bezieht sich auf die Begründung der modernen Staatstheorie
durch Thomas Hobbes (1651) und die folgenden beiden Jahrzehnte einer
kontroversen Debatte über die Darstellung des Souveräns. Im Zentrum
steht der Konflikt zwischen einer mathematisch begründeten Staatslehre,
wie sie Hobbes mit seinem »Leviathan« verfolgte, und einem metaphysisch
fundierten Souveränitätsbild, wie es André Felibien, der Kunst- und
Kulturdirigent Ludwigs XIV., in seinem »Portrait du Roy« propagierte
(1663).
Die Trigonometrie von Bild und Klang
Friedrich Kittler
Im Projektzusammenhang bildet eine Fragestellung, die neben Bildern und
ihrer Verzifferung auch Klänge und deren Verzifferung einbezieht, eine
Ausnahme, weil Klang im Gegensatz zu Bild, Schrift und Zahl nicht als
Medium der Wissenschaft fungiert hat. Zwei Gründe sprechen jedoch
dafür, die Technikgeschichten von linearer Perspektive und temperierter
musikalischer Frequenz strikt parallel zu führen. Erstens geht ihr
Unterschied unter Computerbedingungen in der technischen Allgemeinheit
digitaler Signalverarbeitung auf, zweitens hat die neuzeitliche
Mathematik optische Erscheinungen mit derselben Trigonometrie
formalisiert wie musikalische Schwingungen. Im Teilprojekt geht es um
genau diesen Zusammenhang zwischen einer grundlegenden
Mathematisierung, welche die Künste der europäischen Neuzeit gegenüber
anderen Kulturen ausdifferenziert hat, und einer modernen
Technisierung, die diese Künste zunächst in analoge und schließlich in
digitale Medien überführen konnte. Daraus folgt abschliessend eine
Hypothese über die Hintergründe jener fundamentalen Trennung, die seit
Kant eine philosophische Ästhetik der Sprachauslegung einer
physikalischen Ästhetik der Messung entgegenstellt, eine Hypothese
also, die e contrario zum Brückenschlag zwischen Mathematik, Informatik
und Kulturwissenschaft beitragen könnte.
»Schriftbildlichkeit«
Über die Visualität von Texten als kulturtechnisches und
lektüretheoretisches Potential
Sybille Krämer
Es ist ein Gemeinplatz in den Geisteswissenschaften, daß unser Umgang
mit Symbolen den Gleisen einer Bifurkation von Sprache und Bild folgt.
Gemäß dieser Gabelung zwischen dem Diskursiven und dem Ikonischen gilt
die Schrift als Sprache und nicht als Bild. Ziel dieses
grundlagentheoretischen Arbeitsvorhabens ist es, diese sprachzentrierte
Konzeption der Schrift zu revidieren, also die Schriftreflexion zu
lösen von der Prägung durch ihre Herkunft aus der
`Mündlichkeits-/Schriftlichkeitsdebatte'. Das soll geschehen (1) durch
die Rehabilitierung einer fundamentalen visuell-ikonischen Dimension,
der `Schriftbildlichkeit', von der die Darstellungspotentiale der
Schrift und des Textes jeweils Gebrauch machen. Was diese Potentiale
bedeuten, zeigt sich, wenn die Schrift in ihrer Funktion, als eine
Kulturtechnik zu dienen, in den Blick genommen wird. Es ist
insbesondere die Kulturtechnik des Lesens, in der die kognitive und
kommunikative Rolle der Schriftbildlichkeit zutage tritt. Die visuell
zugängliche Oberfläche von Texten, die Textur, kann als Partitur der
Leseperformanz verstanden werden. Daher ist (2) zu untersuchen, wie
sich im Verhältnis von klassischem Text zum elektronischen Hypertext
die Bedingungen der Schriftbildlichkeit verändern.
Visuelle Argumentationen. Erzeugung und Logik wissenschaftlich-technischer Grafiken und Bilder unter digitalen Produktionsbedingungen
Wolfgang Coy
Untersucht werden Bilder (im Gegensatz zu Texten) als Mittel
technisch-wissenschaftlicher Kommunikation. Insbesondere sollen Logik
und Argumentationskraft bildlicher, also grafischer, schematischer,
aber auch sensorerzeugter und berechneter Bilder in technischen und
naturwissenschaftlichen Fächern erforscht werden. Ausgehend von den
historischen grafischen und bildlichen Darstellungstechniken (vor allem
an Hand der Bilder der Diderotschen Enzyklopädie) sollen technische
Bilder, von Grafiken über analoge (autografische) Bildgebungsverfahren
bis zu rechnergestützten, digitalen Bildgebungsverfahren als
wesentliche Argumentationshilfen der modernen Technik- und
Naturwissenschaften im Vergleich zu textbasierten Logiken verstanden
und analysiert werden. Durch den Einsatz programmierter Verfahren bei
der Auswertung komplexer Sensordaten entstehen neue
Argumentationsweisen (in Medizin, Naturwissenschaften, Technik), die
sowohl die Verschriftlichung der Logik in den Wissenschaften wie ihre
Präzisierung als Formale Logik in Mathematik, Naturwissenschaft und
Technik herausfordern bis hin zu Sir Karl Poppers »Logik der
Sozialwissenschaften« und zur Wissenschaftstheorie. Dies soll ausgehend
von neuen bildgenerierenden Entwicklungen der Informatik
disziplinübergreifend dargestellt und analysiert werden.
Die Digitalisierung von Bild, Schrift, Zahl und Ton. Konzeptualisierung und kultureller Kontext
Bernd Mahr
Bild, Schrift, Zahl und Ton sind Medien unserer alltäglichen
Kommunikation und Aneignung. Ihr konventionalisierter Gebrauch ist
Bestandteil unserer Kultur und Wissenschaft. Mit ihrer Digitalisierung
und maschinellen Verarbeitung in der Informationstechnik und
Telekommunikation erfahren Bild, Schrift, Zahl und Ton eine Reduktion
auf das symbolisch Repräsentierbare und das effektiv Ausführbare. Diese
Reduktion beinhaltet ihre Konzeptualisierung, die im wesentlichen zwei
Einflüssen unterliegt: Einer gewissen Auffassung von dem, was sie sind,
und einer gewissen Auffassung von dem, was sie im Handlungszusammenhang
ihrer digitalisierten Form sein sollen. Digitalisierung steht dadurch
in einem kuturellen Kontext, der einerseits die Konzeptualisierung
mitbestimmt und der andererseits selbst durch die Konzeptualisierung
mitgeprägt wird. Aussagen über den kulturellen Kontext der
Digitalisierung haben daher einen imprädikativen Charakter.
Ziel des Projekts ist es, mit einem Referenzmodell den Begriffsrahmen
für die der Digitalisierung innewohnenden Konzeptualisierungen von
Bild, Schrift, Zahl und Ton zu formulieren. Von der Entwicklung dieses
Modells werden erwartet: Einsichten in die kulturelle Verflechtung der
Digitalisierung, eine Auslotung des Verlustes und des Gewinns, der
durch die Digitalisierung entsteht, Aussagen über die Zusammenhänge von
Bild, Schrift, Zahl und Ton sowie ein Beitrag zu der in den
Kulturwissenschaften geführten Theorie-Diskussion. Vom Modell selbst
wird erwartet, daß es als Heuristik für die informationstechnische
Dokumentation von Sammlungen praktisch eingesetzt werden kann.