Prof. Dr. Ludwig Jäger
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH), Aachen
Die Sprache der Hände. Zur Audiovisualität des menschlichen Sprachvermögens
Donnerstag, 4. Mai 2006, 18.30 Uhr, Kinosaal, Unter den Linden 6
Ludwig Jäger promovierte 1975 an der Universität Düsseldorf in Sprachwissenschaft zu dem Thema "Zu einer historischen Rekonstruktion der authentischen Sprach-Idee F. de Saussures" und habilitierte sich 1978 in Germanistischer Sprachwissenschaft. Seit 1982 hat er an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen den Lehrstuhl für Deutsche Philologie inne. Die kritische Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte des Faches Germanistik – insbesondere der „Fall“ Hans Ernst Schneider/Hans Schwerte – bildet neben Zeichentheorie (de Saussure) und Medientheorie einen von Ludwig Jägers Forschungsschwerpunkten.
Seit 2002 ist Ludwig Jäger Geschäftsführender Direktor des 1999 gegründeten Forschungskollegs „Medien und kulturelle Kommunikation“. In diesem Kolleg erforschen Wissenschaftler der Hochschulen RWTH Aachen, Bochum, Bonn und Köln interdisziplinär Fragen und Phänomene der modernen Evolution der Medien aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive. In seinem Vortrag beschäftigt sich Jäger mit dem Verhältnis von Sprache und Bild am Beispiel der Gebärdensprache.
Viele kulturkritische Stimmen diagnostizieren vor dem Hintergrund dominanter werdender visueller Medienkulturen das Heraufziehen eines neuen ikonischen Zeitalters, einen ‚Sieg des Bildes über die Schrift’ und eine ‚anthropologische Ungewißheit’ (Baudrillard) des post-typographischen Menschen. Muß angesichts dieser medialen Herausforderungen tatsächlich eine visuell-mediale Überforderung des ‚veralteten Säugetiers Mensch’ befürchtet werden, wie sie etwa Leroi-Gourhan konstatiert hat? Gegen ein solches Postulat sind Einreden angebracht. Tatsächlich sind Sprachlichkeit und Bildlichkeit enger, als es lange den Anschein hatte, im anthropologischen Programm der „symbolic species“ Mensch (Deacon) miteinander verwoben. Der Blick auf die gattungsgeschichtliche Rolle der Gebärdensprachen erlaubt es, vor dem Hintergrund neuerer Forschungen zur Evolution der menschlichen Sprachfähigkeit, das in die Philosophiegeschichte – nicht erst seit Lessing – tief eingeschriebene Postulat eines Gegensatzes von Ikon und Logos zu relativieren und die Audiovisualität des menschlichen Sprachvermögens aufzuweisen. Im Kontext der sog. „Mirror System Hypothesis of Language Evolution“ (Arbib) lässt sich neue Evidenz für die phylogenetische Vorgängigkeit der räumlich-visuellen Gebärdensprachen vor den Lautsprachen und damit für einen piktoralen Anfang des menschlichen Sprachvermögens gewinnen.
Ausgewählte Veröffentlichungen:
- Ludwig Jäger, Erika Linz (Hg.), Medialität und Mentalität. Theoretische und empirische Studien zum Verhältnis von Sprache, Subjektivität und Kognition, München 2004
- Ludwig Jäger, Gisela Fehrmann, Sprachraum - Raumsprache. Raumstrategien in Gebärdensprachen und ihre Bedeutung für die kognitive Strukturierung, in: Ludwig Jäger, Erika Linz (Hg.), Medialität und Mentalität. München 2004, S. 177-191
- L. Jäger, Seitenwechsel. Der Fall Schneider/Schwerte und die Diskretion der Germanistik, München 1998
Prof. Dr. Bernard Comrie
Max-Planck-Institut (MPI) für evolutionäre Anthropologie, Leipzig und University of California, Santa Barbara
Die Vielfalt der menschlichen Sprachen und ihr Ursprung
Donnerstag, 1. Juni 2006, 18.30 Uhr, Kinosaal, Unter den Linden 6
Bernard Comrie zählt weltweit zu den renommiertesten Wissenschaftlern im Bereich der funktionalen Sprachwissenschaft. Seit 1997 ist er Direktor am Max-Planck-Institut (MPI) für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und zugleich Professor an der University of California in Santa Barbara. Comrie ist Mitglied mehrerer Akademien, darunter die Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, sowie die Königlich-Niederländische Akademie der Wissenschaften. Darüber hinaus ist er Autor und Herausgeber linguistischer Fachliteratur, u.a. des umfassenden Referenzwerkes The World’s Major Languages.
Comrie gilt seit Jahrzehnten als Spezialist auf dem Gebiet der Sprachtypologie und der Sprachuniversalien. Seine Forschungsarbeiten reichen vom Tschuktschischen, einer paläosibirischen Sprache im Russischen Fernen Osten, über die Sprache von Stämmen in Indonesien bis hin zur Sprache der Aborigines Australiens. Am MPI für evolutionäre Anthropologie beschäftigt sich Comrie mit der weltweiten Vielfalt menschlicher Sprachen und deren Ursprung. Dabei schlägt er eine Brücke zwischen Linguistik, Archäologie und Psychologie. In seinen neuesten Forschungsarbeiten widmet sich Comrie dem Zusammenhang zwischen Genetik und Linguistik und leistet damit, wie kaum ein anderer, einen Beitrag dazu, die Fähigkeit des Menschen, sprechen zu können, sowie deren kognitive und evolutionsgeschichtliche Grundlagen zu verstehen.
Es ist allgemein bekannt, dass sich Sprachen auf verschiedene Weisen voneinander unterscheiden können. Obwohl Linguisten seit langem gewisse Intuitionen über die areale Verteilung solcher Varianten haben, gab es bis vor kurzem keinen systematischen Versuch, diese Vielfalt
kartographisch darzustellen. Der Vortrag stellt ein Projekt vor – den Weltatlas linguistischer Strukturen –, welches nicht nur die Geographie der sprachlichen Vielfalt der Welt veranschaulicht, sondern auch Methoden anbietet, um diese Vielfalt tiefer zu erforschen. Insbesondere hebt der Vortrag die Feststellung hervor, dass Sprachen strukturell eher ihren Nachbarn als ihren Verwandten ähneln, was einen neuen Einblick in die Rolle von Sprachverwandtschaft und Sprachkontakt in der Geschichte
der Sprache gewährt.
Ausgewählte Veröffentlichungen:
- Comrie, B. (Ed.) (1987), The World’s Major Languages. Oxford University Press
- Comrie, B. (1981), Language Universals and Linguistic Typology: Syntax and Morphology. Oxford: Blackwell and Chicago: Chicago University Press
- Comrie, B. (2002), Sprache und Vorzeit [Language and Prehistory]. (Sitzungsberichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig), Leipzig
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