Prof. Dr. Helmut Rechenberg
Max-Planck-Institut für Physik, München
Heisenberg in Berlin
21. November 2002, 18.30 Uhr, Kinosaal, Unter den Linden 6
Helmut Rechenberg, geboren 1937 in Berlin, ist Heisenbergs letzter Doktorand, Mitherausgeber von dessen Gesammelten Werken und Mitautor des grundlegenden Werks "The Historical Development of Quantum Theory". Seit 1977 leitet er das Werner Heisenberg Archiv.
In seinen ersten Arbeiten untersuchte Rechenberg Fragen der experimentellen Festkörperphysik, insbesondere des Magnetismus. Die Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für Physik in München behandelte die Theorie der Elementarteilchen, namentlich Modelle der Quantenfeldtheorie. Diese Studien wurden in den Postdoc-Jahren in Texas fortgesetzt.
Gleichzeitig begannen in den USA (in Zusammenarbeit mit J. Mehra) die Vorarbeiten zur Geschichte der Quantentheorie. Seit 1975 erfolgte ein vollständiger Übergang zum Arbeitsgebiet Geschichte der Physik mit Schwerpunkten im 20. Jahrhundert (d.h. vor allem Quanten-, Kern- und Elementarteilchenphysik).
Im Juli 1942 berief die Kaiser Wilhelm-Gesellschaft Heisenberg zum Direktor an ihrem Institut für Physik in Berlin. Er sollte dort den beurlaubten Peter Debye vertreten und vor allem die Reaktorversuche im geheimen Uranprojekt leiten. Trotz kriegsbedingter Schwierigkeiten, die 1943 eine Teilverlegung des Instituts nach Süddeutschland verursachten, gelang es ihm, die Mitarbeiter durch ein zukunftsträchtiges Arbeitsprogramm zu motivieren. Gleichzeitig erhielt er eine Professur an der Universität und nahm an den Sitzungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften teil.
Über die wissenschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Ereignisse dieser Berliner Zeit bis Januar 1945, auch seine Mitgliedschaft in der berühmten Mittwochsgesellschaft soll zusammenfassend berichtet werden.
Der Vortrag nimmt die gegenwärtig im Foyer der Humboldt-Universität gezeigte Ausstellung zum Anlass, die besondere Bedeutung zu erläutern, die Berlin - unter den unterschiedlichsten Gesichtspunkten - für Heisenbergs Karriere hatte: Werner Heisenberg - Forscher, Lehrer und Organisator der Wissenschaft. Eine Ausstellung zum 100. Geburtstag.
Ausgewählte Veröffentlichungen:
- H. Rechenberg, J. Mehra: The Historical Development of Quantum Theory, New York 1982, 1987, 2001, 2002
- H. Rechenberg, G. Wiemers (Hrg.): Werner Heisenberg ? Gutachten und Prüfungsprotokolle (1929-1942) Berlin, 2001
Prof. Dr. Hans Ulrich Gumbrecht
Stanford University
Lost in Focused Intensity. Wie man sich eine Geschichte des Sports vorstellen müßte - und wie man sie schreiben könnte
12. Dezember 2002, 18.30 Uhr, Kinosaal, Unter den Linden 6
Hans Ulrich Gumbrecht, 1948 in Würzburg geboren, hat seit 1989 die Albert-Guérard-Professur für romanistische Literatur am Department of Comparative Literature der Stanford University inne. Er studierte Romanistik, Germanistik, Philosophie und Soziologie in Deutschland, Spanien und Italien und lehrte danach an den Universitäten Konstanz, Bochum und Siegen. Zwischen 1981 und 1989 organisierte Gumbrecht am "Inter-University Center Dubrovnik" fünf interdisziplinäre Forschungskolloquien über die erkenntnis-theoretische Neuorientierung der Geisteswissenschaften. Sein anhaltendes Interesse an den Schnittstellen verschiedener Disziplinen bezeugen weitere Kolloquien aus der jüngeren Stanforder Zeit, u.a.: "Beyond Dualism. Epistemological Convergences between the Sciences and the Humanities" (1994), "The Athlete's Body" (1995) und "Body / Ethics" (1996). Die beiden letzteren lassen darüberhinaus eine Beschäftigung mit jenem besonderen Thema ahnen, über das Gumbrecht während seines Berlin-Besuchs sprechen wird:
Zusammen mit dem Gymasium des 19. und 20. Jahrhunderts haben es die "Olympischen Spiele der Neuzeit" zu einer Gewissheit des allgemeinsten (und auch des trivialsten) Bildungswissens werden lassen, dass der Sport, so wie wir ihn kennen und praktizieren, "seit der Zeit der alten Griechen bis heute" ohne Unterbrechung existiert habe. Gegen diese Prämisse läßt sich problemlos argumentieren, dass die Ursprünge von Sport als einer kulturellen Form unserer Gegenwart nicht weiter als ins frühe 19. Jahrhundert zurückgehen - was bestimmte Phänomene entfernterer Vergangenheiten (wie zum Beispiel die Olympischen Spiele der Antike, römische Gladiatorenspiele, mittelalterliche Turniere oder den calcio in den italienischen Städten der Renaissance) dann als Versatzstücke einer prekären Vorgeschichte erscheinen läßt.
Auf die Fragen, a) wie sich eine solche diskontinuierliche Vorgeschichte mit der Gegenwarts-Geschichte des Sports vermitteln laesst, b) wie man überhaupt die Geschichte einer nicht primär auf Sinn gerichtete Praxis konzipieren soll, und c) ob diese besondere Geschichte ein Potential der Prognose für die Zukunft des Sports entfalten kann, wird der Vortrag von Hans Ulrich Gumbrecht - als Skizze einer Erzählung und als Reflexion über diese Erzählung - erste Antworten zu formulieren versuchen.
Ausgewählte Veröffentlichungen:
- H. U. Gumbrecht: Vom Leben und Sterben der großen Romanisten, München 2002
- Ders.: 1926. Ein Jahr am Rand der Zeit, Frankfurt 2001
Prof. Dr. Horst L. Störmer
Bell Laboratories, Lucent Technologies, Murray Hill, NJ, USA
Das Ganze ist kleiner als der Teil
9. Januar 2003, 18.30 Uhr, Kinosaal, Unter den Linden 6
Horst L. Störmer, geboren 1949, erwarb nach einem Studium der Physik in seiner Geburtsstadt Frankfurt/Main 1977 die Doktorwürde an der Universität Stuttgart. Anschließend arbeitete er als Postdoc in den Bell Laboratories in Murray Hill, New Jersey, denen er bis heute treu geblieben ist. Als Forschungslabore des Telekommunikationskonzerns Lucent Technologie haben die Bell Labs seit ihrer Gründung 25.000 Pa-tente und elf Nobelpreisträger hervorgebracht. 1998 reihte sich unter ihnen auch Horst L. Störmer ein: Für seine Erkenntnisse über das Verhalten von Quanten in Festkörpern erhielt er zusammen mit D. C. Tsui und R. B. Laughlin die begehrte Auszeichnung der Schwedischen Akademie der Wissenschaften. Im selben Jahr folgte Störmer einem Ruf an die renommierte Columbia University, New York, wo er im Rahmen seines Spezialgebietes der Festkörperphysik vor allem über Halbleiter forscht. Während seines Vortrags in Berlin wird er allerdings über ein anderes physikalisches Phänomen sprechen - und zwar kennt-nisreich wie kaum ein zweiter, weil er es selbst entdeckt hat: den "fraktionierten Quanten-Hall-Effekt", für dessen Beschreibung er 1984 mit dem Oliver-E.-Buckley-Preis geehrt wurde:
Dinge bestehen aus kleineren Dingen. Diese Beobachtung bestätigt sich nicht nur im täglichen Leben, sondern auch in der Physik. Gegenstände bestehen aus Molekülen, die aus Atomen bestehen, die aus Elektronen und Nukleonen bestehen, die aus … Trotzdem sind die Eigenschaften eines Gegenstandes nicht unbedingt von den Eigenschaften seiner mikroskopischen Komponenten ableitbar: Die Kenntnis von Elektron und Nukleon sagt uns wenig über die Su-praleitung und noch weniger über belebte Dinge. Dies veranlasste Anderson zu seiner Aussage: "Mehr ist anders!"
Während der vergangenen zwei Jahrzehnte hat sich gezeigt, dass mehr sogar weniger sein kann. Eine Ansammlung von Teilchen kann neue Teilchen erzeugen, die "kleiner" sind als die Ausgangsteilchen. Eine derartige Fraktionalisierung kommt nirgendwo stärker zum Vorschein als im fraktionierten Quanten-Hall-Effekt. Dort erzeugt die korrelierte Bewegung von vielen Elektronen mit Ladung "e" neue "Elektronen" mit fraktionierter Ladung: 1/3e, 1/5e, 1/7e, usw., ohne dass sich die Elektronen spalten. Damit hängen seltsame Phänomene zusammen wie verschwindender und fraktioniert-quantisierter Widerstand, das scheinbare Verdrängen von enorm hohen Magnetfeldern durch Bildung von Komposit-Teilchen sowie deren mögliche Paarung und Kondensation.
Es ist noch unklar, ob die Fraktionalisierung von Teilchen in der Physik nicht noch weiter verbreitet ist und ob sie uns nicht künftig eine andere Perspektive ermöglicht: einen neuen Blick auf den Teil und das Ganze.
Ausgewählte Veröffentlichungen:
- Horst L. Störmer: "Composite Fermions in the Fractional Quantum Hall Effect", in: Perspectives in Quan-tum Hall Effects, Hg. v. Das Sarma and Pinczuk, John-Wiley-Verlag 1996
- Ders.: "The Fractional Quantum Hall Effect", Science, 248, 1510 (1990)