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Wintersemester 2004/05

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Prof. em. Dr. rer. nat. Dr. h.c. mult. Friedrich Hirzebruch
Universität Bonn, Institut für Mathematik
Ein "Buchstabe in der Schrift der Natur": Dreiecksnetze und ihre Anwendungen
Donnerstag, 18. November 2004, 18.30 Uhr, Kinosaal, Unter den Linden 6

Friedrich Hirzebruch gehört zu den international bedeutendsten Mathematikern der Nachkriegszeit, wovon die große Zahl seiner nationalen und internationalen Auszeichnungen beredtes Zeugnis ablegt. Geboren 1927 in Hamm/Westfalen, studierte er von 1945-1950 Mathematik, Physik und Mathematische Logik an der Universität Münster und an der ETH Zürich. Nach seiner Promotion und einer Assistententätigkeit an der Universität Erlangen war Friedrich Hirzebruch von 1952-54 Mitglied des Institute for Advanced Study in Princeton. Hier legte er mit dem nach ihm benannten "Signatur-Satz", der eine der wichtigsten Entwicklungen der modernen Mathematik einleitete, die Basis seines Weltruhms. Nach seiner Habilitation 1955 an der Universität Münster und einem erneuten Aufenthalt in Princeton erhielt er 1956 den Ruf auf einen Lehrstuhl für Mathematik an der Universität Bonn, wo er trotz zahlreicher Angebote bis zu seiner Emeritierung 1993 geblieben ist. Hier arbeitete er an grundlegenden Fragestellungen der algebraischen Geometrie und Topologie, zu denen er einflussreiche Studien veröffentlichte. Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit sind insbesondere die Leistungen Friedrich Hirzebruchs für die internationale mathematische Gemeinschaft hervorzuheben. Er war u.a. Initiator und Sprecher des Sonderforschungsbereichs "Theoretische Mathematik", sowie Gründer und langjähriger Leiter des Max Planck-Instituts für Mathematik in Bonn, an dem er bis heute noch regelmäßig tätig ist.

Friedrich Hirzebruch erhielt zahlreiche nationale und internationale Ehrungen, darunter das Große Verdienstkreuz mit Stern der Bundesrepublik Deutschland (1993), die Lomonossow-Goldmedaille der Russischen Akademie der Wissenschaften (1997), und er wurde in den Orden Pour le mérite für Wissenschaften und Künste aufgenommen.

Friedrich Hirzebruch erläutert in seinem Vortrag zum Thema "Ein 'Buchstabe in der Schrift der Natur': Dreiecksnetze und ihre Anwendungen" die mathematische Beschreibung von Oberflächen:

Das Dreiecksnetz in der Ebene entspricht der wohlbekannten Pflasterung der Ebene in gleichseitige Dreiecke. Gibt es auch Dreiecksnetze, die die Kugeloberfläche umspannen? Die Frage ist zu bejahen, wie schon Ernst Haeckels Zeichnungen von Radiolarien zeigen. Aber hier gibt es fünffache, sechsfache, siebenfache, achtfache Punkte, in denen fünf, sechs, sieben oder acht Dreiecke zusammenkommen, während es in der Ebene immer sechs sind. Das einfachste Beispiel ist das Ikosaeder mit 20 Dreiecken und 12 fünffachen Punkten. Die Dreiecksnetze über der Kugeloberfläche heißen auch Triangulierungen. Es gibt 7616 verschiedenen Triangulierungen mit 20 Dreiecken (Brückner 1897). Für die Anwendungen interessant sind Triangulierungen, wo nur fünffache und sechsfache Punkte vorkommen. Solche Triangulierungen (mit Ikosaedersymmetrie) beschreiben die Struktur gewisser Virushüllen (D.L.D. Caspar und A. Klug, Nobelpreis 1962).

Dual zu den Triangulierungen mit ausschließlich fünf- oder sechsfachen Punkten sind Zerlegungen der Kugeloberfläche in Fünfecke und Sechsecke (Flächen), wobei in jedem Eckpunkt genau drei Flächen zusammenkommen (Dreikantpolyeder); sie beschreiben zum Beispiel die Struktur gewisser Pollen (Glockenrebe). In der Chemie sind sie als Fullerene bekannt, über die es nunmehr eine gewaltige Literatur gibt, beginnend mit der Beschreibung des Kohlenstoffmoleküls C60 durch eines der 13 seit 2300 Jahren bekannten archimedischen Polyeder: "Fußball" mit 12 Fünfecken und 20 Sechsecken (Krätschmer, Fostiropoulos, Huffmann, Lamb 1990; Croto, Curl, Smalley, Nobelpreis 1996). In dem Vortrag werden mathematische Konstruktionsprinzipien von Fullerenen beschrieben, unter Verwendung von:

  • An Atlas of Fullerenes (Monographs on Chemistry), P.W. Fowler and D.E. Manolopoulos 1995)
  • A constructive enumeration of fullerenes, G. Brinkmann and A. Dress 1997
  • Shapes of polyhedra and triangulations of the sphere, William P. Thurston 1998

Ausgewählte Veröffentlichungen:

  • Neue topologische Methoden in der algebraischen Geometrie (EA 1956, NA 1995)
  • Gesammelte Abhandlungen (1987)

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Prof. Sir John Meurig Thomas F.R.Eng. F.R.S.
University of Cambridge, Department of Materials Science & Metallurgy
The Unpredictability of Science and Its Consequences
Donnerstag, 16. Dezember 2004, 18.30 Uhr, Kinosaal, Unter den Linden 6

Seine Forschungen auf dem Gebiet der Festkörperchemie und der Katalyse haben Prof. Thomas zu einem der international bedeutendsten Chemiker unserer Zeit gemacht. Geboren 1932 in Wales, verbrachte er seine Studienzeit an der University of Wales und am Queen Mary College in London. 1958 begann er seine wissenschaftliche Laufbahn als Assistant Lecturer am University College of Wales, wo er bis 1978 tätig war, zuletzt als Leiter der Abteilung Chemie. 1978 wechselte er als Leiter der Abteilung Physikalische Chemie nach Cambridge, von 1986 bis 1991 war er Direktor der Royal Institution of Great Britain in London und des dortigen Davy Faraday Research Laboratory, wo er bis heute Mitglied ist.

Von seinen vielen Auszeichnungen sind auch diejenigen hervorzuheben, die neben seinen Leistungen für die Chemie seine Rolle für die Popularisierung der Wissenschaften würdigen, dafür wurde er 1991 von Queen Elizabeth geadelt. In öffentlichen Vorlesungen für Radio und Fernsehen, als Berater der Regierung und für Museen, als Gründungsmitglied des "Committee on the Popularisation of Science" und als Mitglied vieler anderer Bildungsinitiativen hat er Brücken gebaut, um das Verständnis der Entwicklungen in den modernen Naturwissenschaften auch für Laien zu ermöglichen.

Sir John Meurig Thomas erläutert in seinem Vortrag zum Thema "The Unpredictability of Science and Its Consequences" die Gründe dafür, daß naturwissenschaftliche Experten so wenig wie andere gesellschaftliche Gruppen in der Lage sind, gültige Vorhersagen über die wissenschaftliche und technologische Zukunft zu machen:

In chemical science as well as in most branches of natural philosophy, expert practitioners of their subject – judging by past experience – are no better than members of the general public in foreseeing the scientific and technological future. The veracity of this statement will be illustrated (in terms that will be intelligible to non-experts), and the reasons why this is so will be elaborated by reference to specific discoveries, advances and developments in chemistry, physics, medicine, molecular biology and astronomy.

Ausgewählte Veröffentlichungen:

  • Introduction to the principles of heterogeneous catalysis, London (Acad. Press) 1967
  • Michael Faraday and the Royal Institution: The Genius of Man and Place, Bristol (Hilger) 1991
  • Principles and practice of heterogeneous catalysis, Weinheim (VCH) 1997

als Herausgeber von Zeitschriften:

  • Catalysis Letters, Dordrecht 1988ff.
  • Current Opinion in Solid State and Materials Science, London 1990ff.
  • Topics in Catalysis, Bussum 1992ff.

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Prof. Peter L. Galison Ph.D.
Harvard University, Department of Physics
Images of Objectivity
Donnerstag, 20. Januar 2005, 18.30 Uhr, Kinosaal, Unter den Linden 6

Professor Peter Galison, Mallinckrodt Professor der Wissenschaftsgeschichte und der Physik in Cambridge, ist einer der bedeutendsten Wissenschaftshistoriker unserer Zeit. Geboren 1955 in New York, studierte er zunächst in Paris Mathematik und Philosophie und später Wissenschaftsgeschichte an der Harvard University, wo er 1983 sowohl in Physik als auch in Wissenschaftsgeschichte promovierte.

Galisons besonderes Interesse gilt den materiellen Grundlagen der modernen Physik, insbesondere der Mikrophysik. Seine zahlreichen Publikationen beschäftigen sich mit dem Zusammenwirken von instrumentellen, experimental-technischen und theoretischen Überlegungen und vor allem mit der Frage, welche Mechanismen in einer wissenschaftlichen Gemeinschaft dazu führen, dass gewisse Hypothesen als gültig betrachtet und andere verworfen werden. In seinem Buch How Experiments End (1987) hat er diesen Zusammenhang am Beispiel der modernen Teilchenphysik dargelegt und gezeigt, wie Theoretiker, Experimentalphysiker, Experten für Computersimulation und Techniker, d.h. Spezialisten auf einem bestimmten Gebiet mit unterschiedlichen Vorstellungen, zusammenarbeiten und Konsens über das Ergebnis physikalischer Experimente erreichen. Seine Untersuchung gilt als Meilenstein der neueren Wissenschaftsgeschichte und liefert Anregungen für andere interdisziplinäre Forschungsgebiete, von den Materialwissenschaften bis zur Molekularbiologie. Für seine Forschungen über das Zustandekommen von wissenschaftlichen Erkenntnissen erhielt Galison 1999 den Max Planck-Forschungspreis der Max-Planck-Gesellschaft und der Alexander von Humboldt-Stiftung.

Das Werk von Peter Galison weist überdies viele andere Bezüge und Themenstellungen auf, insbesondere solche, die physikalisches Denken und Arbeiten mit anderen Bereichen, wie beispielsweise der Kunstgeschichte, verbinden. So hat er auch über Fotografie, den Begriff des geistigen Eigentums und die Geschichte der Luftfahrt geschrieben und einen Dokumentarfilm über die Entwicklung der Wasserstoffbombe produziert.

In seinem Vortrag zum Thema "Images of Objectivity" erläutert Professor Galison die Entwicklung des Konzeptes Objektivität in den Wissenschaften des 19. Jahrhunderts, die vor allem im Zusammenhang mit der veränderten Konzeption von Individualität betrachtet werden muss:

Scientific objectivity, in recent times, is often bandied about as if it were a catch-all term, capacious enough to embrace almost anything valuable about good scientific work. But historically, at least among scientists, objectivity was not identified with other epistemic virtues--virtues such as certainty, precision, or truth. At times, nineteenth century physiologists, physicists, botanists, and other scientists even saw objectivity pitted against the search for precision or usefulness. In this lecture I will begin by exploring the central nineteenth century notion of "mechanical objectivity," the quest for a means by which nature could speak without human intervention: images that were, so to speak, all from nature, nothing from us. It was an extraordinary moment, one that completely reversed the earlier aspiration of artist-scientists to intervene as much as possible to part the curtains of "mere" appearances. This inversion of ambitions was at once technical, philosophical, and moral; it involved not only a change in the means of scientific depiction, it presupposed a dramatic revision in the scientific self. The argument here is that the thickening of the concept of self in the late 18th and early 19th centuries was a condition of possibility for the view that valid scientific knowledge demanded self-repression. This hunt for a moral-epistemic scientific self is thrown into relief by the flip-side of the image of objectivity: the image of pure subjectivity. That latter image--one in which the self determines all and nature determines nothing--the inversion of the objective image--is precisely what the Rorschach Test aims to present. By examining the specific history of the inkblot test, we will have a chance to track a technology of the self--and in a far more material sense than might be expected from the important work of Michel Foucault.

Ausgewählte Veröffentlichungen:

  • How Experiments End, University of Chicago Press, Chicago, 1987.
  • Image and Logic: a Material Culture of Microphysics, University of Chicago Press, Chicago, 1997.
  • Einstein's Clocks and Poincaré's Maps: Empires of Time, W. W. Norton, New York, 2003.

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